Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Stickstoffeffizienz von Winterweizensorten

Mit der novellierten Düngungsreform ist die Düngung weitgehend gedeckelt, weitere Ertragssteigerungen sind damit nur noch über eine höhere Nährstoffeffizienz möglich. Wie ist dieses Merkmal bei der Sortenwahl zu berücksichtigen? Diese Frage stellt sich gerade bei Qualitätsweizen im Hinblick auf Stickstoff als limitierten Baustein der Proteinsynthese.

Weizendüngung Claas
Weizendüngung Claas
Was ist eigentlich N-Effizienz?

Wenn über Stickstoffeffizienz diskutiert wird, ist in der Regel die Verwertungseffizienz gemeint – also der Anteil des Stickstoffangebots, der sich im Ernteprodukt wiederfindet. Bei Getreide ist dies fast ausschließlich der Kornstickstoffgehalt, berechnet aus Korntrockenmasse, Rohproteingehalt und einem Umrechnungsfaktor1. Davon zu unterscheiden ist die „Aufnahmeeffizienz“ im Hinblick auf die Stickstoffaneignung der gesamten Pflanze im Verlauf der Vegetation.

Die Einflussgrößen auf die N-Aufnahme- und Verwertungseffizienz sind vielfältig und korrespondieren mit fast allen pflanzenbaulichen Maßnahmen. Sind diese optimiert, wird die Aufnahmeeffizienz vom Gesamt-Biomasseertrag der Sorte bestimmt, deren physiologischer Aktivität und insbesondere auch von der Wurzelleistung. Die Verwertungseffizienz wird maßgeblich von der Sinkkapazität2, dem Harvestindex und dem N-Metabolismus der Sorte beeinflusst. Großen Einfluss auf die N-Effizienz hat auch die Gesundheit und Langlebigkeit einer Pflanze: je später die Entwicklung, umso besser nutzbar der bodenbürtige Stickstoff.

Und je länger und ungestörter die Vegetation, umso größer ist – bei ausreichendem Wasser- und Nährstoffangebot – das Produkt aus N-Aufnahmerate und Zeit.


 Wie groß sind die Sortenunterschiede?

Für eine bessere Qualität, Abbildungen anklicken.
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Beträchtlich, könnte man zunächst vermuten, schließlich unterscheiden sich die Sorten ja erheblich sowohl im Kornertrag als auch im Rohprotein- bzw. Kornstickstoff­gehalt. Tatsächlich nähern sich die Sorten im Kornstickstoffertrag jedoch an. Im aktuellen Weizensortiment unterscheiden sich die besten und schlechtesten Sorten um 30 kg/ha, in der Spitzengruppe um etwa 10 kg/ha.

Zurückzuführen ist diese Angleichung im N-Entzug auf die negative Beziehung zwischen Kornertrag und RP-Gehalt, von Praktikern treffend als „Proteinverdünnung“ bezeichnet. Diese ist vor allem auf den unterschiedlichen Energiebedarf der Biosynthese zurückzuführen: Rein rechnerisch kann aus 1 g Glucose 0,83 g Stärke gebildet werden, jedoch nur 0,43 g Protein (oder 0,33 g Fett). Über alle zugelassenen Sorten gesehen, sinkt die Einstufung für den Kornertrag im Mittel um 0,7 mit jeder Note mehr im Rohprotein. Übertragen auf die Praxis – ausgehend von 80 dt/ha mit 12,5 % Rohprotein – verändert sich der Kornertrag je Prozent Rohprotein im Mittel der Sorten um ca. 7,5 dt/ha!

Kornertrag, Rohproteinertrag; Abbildung zum Vergrößern anklicken
Kornertrag, Rohproteinertrag; Abbildung zum Vergrößern anklicken
Allerdings ist die Korrelation beider Merkmale mit einer Bestimmtheit von lediglich 64 % nicht sehr eng. Es gibt also durchaus Unterschiede im Kornstickstoffertrag, die bei der Sortenwahl berücksichtigt werden können. Zu den Sorten mit deutlich höherer N-Effizienz – sogenannten
„Regressionsbrechern“ – gehören jüngere Sorten wie Franz, Reform oder Bonanza, jedoch auch ältere Zulassungen wie Genius, Asano und Akteur.

Abb. 2 visualisiert die Korrelation von Ertrag und Protein am Beispiel neuer Weizensorten 2016.

Sechs neue Sorten – darunter die bereits stark in Vermehrung befindlichen Sorten Nordkap und Porthus – liegen über der Regressionslinie, bringen also vergleichsweise  höhere Kornproteinerträge. Mit Hyvento, Hyfi und LG Alpha sind gleich drei dieser N-effizienten Neuentwicklungen Hybridsorten. Dies ist sehr zu begrüßen, besitzen diese doch in der Regel eine höhere Stresstoleranz und Ertragsstabilität, die vor allem auf weniger günstigeren Standorten deutlich höhere Leistungen erwarten lassen.


Brotvolumen Rohprotein
Brotvolumen Rohprotein
Am Ende zählt die Nutzungseffizienz

Unterschiede in der Verwertungseffizienz und damit dem N-Entzug sind vor allem dann relevant für die Sortenwahl, wenn Protein als Nährstoff bewertet wird, vor allem bei Futtergetreide. Der Proteingehalt als zentrales Erfassungskriterium für Brotweizen hingegen wird immer kritischer gesehen. Die Diskussion dazu wurde bereits vor 26 Jahren in dieser Zeitschrift eröffnet – Auslöser waren proteinärmere Eliteweizen aus den neuen Bundesländern („Borenos“). Dabei sind die Zusammenhänge eindeutig: Zwar korreliert innerhalb einer Sorte der Proteingehalt i.d.R. positiv mit der Backqualität, vor allem bei den E- und A-Sorten mit hoher backtechnischer Proteinqualität, über die Sorten gesehen, ist dieser enge Zusammenhang jedoch nicht gegeben (Abb. 3). So kann ein mittlerer Proteingehalt (5) sowohl zu Brotvolumina der Ausprägungsstufe 4 als auch 8 führen (Abb. 3). Mit 12,8 % RP-Gehalt können 580 oder auch 680 ml Brotvolumen gebacken werden, B- oder E-Niveau, je nach Sorte! Die Grafik von links nach rechts gelesen bedeutet: Ein gefordertes Brotvolumen von 630 ml, entsprechend Note 6, kann bereits mit einem sehr geringen Proteingehalt (2) erreicht werden – oder aber erst mit einem hohen (6). Bei Tobak oder Faustus reichen dafür bereits knapp 12 % Rohprotein, Tommi benötigt 13,2 %!


Die Praxis braucht einen neuen Effizienzmaßstab

Dieser darf sich nicht länger am Kornstickstoffgehalt einer Sorte bemessen, sondern am tatsächlichen Nutzen, also Brot, Fleisch, Stärke oder Alkohol. Bei Brotweizen geht es dabei um höchste Ertragsleistung gekoppelt mit hoher Mehl-, Teig- und Volumenausbeute: also um möglichst viel Gebäck je Hektar. Sorten mit dieser Merkmalskombination haben eine sehr hohe Nutzungseffizienz (Abb. 1), gerade weil sie aufgrund ihrer knappen Rohproteingehalte höhere Ertragsleistungen realisieren.

Sie entziehen dem Standort, bezogen auf eine bestimmte Menge Brot, weniger Stickstoff, nutzen diesen also besonders effizient und umweltfreundlich.

Beispiel: Die Sorte Tobak macht mit 11,5 % Protein aus gleich viel Korn genauso viel Brot, wie mancher A-Weizen mit 13 %, die B-Einstufung resultiert allein aus dem geringeren Kornstickstoff-Gehalt (= RP).

Wird zukünftig Qualitätsweizen bei gleichen Backeigenschaften mit einem Prozent weniger Proteingehalt akzeptiert, kann der Ertrag züchterisch bei gleicher Düngung von 100 dt/ha auf 108 dt/ha gesteigert werden. Bezogen auf 10 t Weizenkorn, sinkt der Ausstoß klimaschädlicher Gase um 112 kg/ha, das entspricht dem „Carbon-Footprint“ von 1.000 km Fahrtstrecke eines Kleinwagens.

Proteinärmere Qualitätsweizensorten, stellvertretend seien hier die Sorten Tobak, Porthus und Gustav genannt, stehen deshalb für einen zukunftsweisenden Qualitätsweizentyp. Mit diesen ist es möglich, bei limitierter N-Düngung weiter steigende Erträge zu erzielen. Es ist davon auszugehen, dass sich der Markt mit den zurückgehenden Proteingehalten in den kommenden Jahren auf diese neuen Sortentypen einstellen muss – das gilt für kostengünstige und ressourcenschonende Standardmehle.

Doch braucht der Markt neben den künftig proteinärmeren Standardqualitäten auch kleber- bzw. proteinreicheren Qualitätsweizen für anspruchsvollere Mehle. Für Tiefkühlteiglinge, Burger, Toastbrote oder Stollen etwa – sowie für bestimmte Exportmärkte. Qualitätssorten wie Genius oder Nordkap also, mit gleichzeitig hoher N-Verwertungs- und N-Nutzungseffizienz, die bei begrenztem N-Angebot möglichst viel Stickstoff zu qualitativ hochwertigem Kleber assimilieren.


Fazit

Der Markt und damit die Praxis braucht beides, N-effiziente Sorten mit mehr Ertrag und N-effiziente Sorten mit mehr Protein. Die Züchtung bietet beides, der Landwirt entscheidet: Ob der Genotyp die Sonnenenergie in erster Linie in die Kohlenhydratbildung lenkt oder aber in die energieaufwendigere Proteinsynthese.

 

Sven Böse

 

 

1 Nachdem der Rohproteingehalt aus dem Stickstoffgehalt abgeleitet wird, ist dies auch umgekehrt möglich. Der Umrechnungsfaktor dabei ist 5,7 bei Weizen, 6,25 beim übrigen Getreide.

2 Unter „Sink“ bezeichnet man die Verbrauchs- und Anziehungsorte für die gebildeten Assimilate, bei Getreide also die Kornanlagen.

 

 

Stand: 04.05.2016