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Pflanzenschutz: Hilfe aus dem Boden

Natürlich: Pflanzenschutz ist weit mehr als nur der Einsatz von Chemie. Und der Blick auf immer stärkere Resistenzbildungen und immer weniger Wirkstoffzulassungen macht deutlich, dass wir gezielt nicht-chemische Pflanzenschutzmechanismen und -maßnahmen nutzen sollten. Viel Potenzial liegt diesbezüglich im Boden, wie Dr. Christian Robert Fiedler eindrucksvoll erklärt.

Mikroorganismen aus der Wurzelzone beeinflussen nicht nur die Gesundheit unserer Kulturpflanzen, sondern tragen auch im erheblichen Maße zu ihrer Interaktion untereinander bei. Nicht alle Bodenbakterien nützen den Pflanzen, aber viele unterstützen die Pflanzen in ihrer Entwicklung und im Wachstum oder helfen, besser auf Umwelt und Schädlinge zu reagieren. Die Interaktion erfolgt biochemisch und zwar in beide Richtungen. So interagieren Pflanzen gezielt mit den Mikroorganismen die ihre Entwicklung fördern, ihre Abwehrmechanismen gegen Schädlinge stärken und ihr Immunsystem aktivieren. Dieser Sensibilisierungsmechanismus (Priming, Erstinfektion) ist sehr spezifisch und erfordert von Bakterien und Pflanzen, dass sie die „gleiche Sprache sprechen“. Im Klartext heißt das, dass die vom Bakterium versendeten Signale, sogenannte Quorum Sensing (QS) Moleküle, auch von der Pflanze empfangen und verstanden werden müssen, um eine nützliche Reaktion hervorzurufen.


Natürliche Resistenzmechanismen

Wir unterscheiden zwischen verschiedenen Resistenzmechanismen:

  • Induzierte systemische Resistenz (induced systemic resistance, ISR): Die induzierte systemische Resistenz ist eine Immunreaktion, die bei den Pflanzen durch nützliche Mikroorganismen ausgelöst wird.
  • Systemische erworbene Resistenz (systemic acquired resistance, SAR): Im Gegensatz zu der ISR basiert diese Resistenz auf einem früheren Pathogenangriff.

Botenstoffe haben für Bakterien im Rahmen eines Kommunikationsprozesses die Funktion, in ihrem Lebensraum Informationen zu ermitteln. Die Bakterien geben sie an ihre Umwelt ab und nehmen sie mit ihren eigenen Rezeptoren wieder auf. So können sie auf Umweltereignisse durch Regulation der Population, Schwarmverhalten, Produktion von Virulenzfaktoren, Besiedlung von Wirtsorganismen oder Ausbildung von Symbiosen reagieren. Aber auch Pflanzen sind in der Lage, auf die bakteriellen Botenstoffe durch funktionelle Veränderungen zu reagieren und durch Ausscheidung eigener Signalstoffe mit den Bakterien zu interagieren. Solche Mechanismen fördern neben bestimmten Resistenzeigenschaften auch das Wurzelwachstum, die Wurzelhaarbildung, das Sproßwachstum und die Erhöhung der Pflanzenbiomasse.


Auch Getreide kann sich aktiv gegen Schaderreger wehren. Quelle: Fiedler
Auch Getreide kann sich aktiv gegen Schaderreger wehren. Quelle: Fiedler
Effektive „Partnerschaften“

Das Bakterium Ensifer meliloti (Sinorhizobium meliloti) und die Gerste bilden eine solche Sender-Empfänger-Gemeinschaft, um die pflanzeneigene Abwehr gegen echten Mehltau zu potenzieren. Aber auch Weizen reagiert auf die von E. meliloti abgegebenen Moleküle und verstärkt dadurch seine Abwehrmaßnahmen gegen phytopathogene Pilze wie den Verursacher des Gerstenschwarzrostes Puccinia graminis. E. meliloti wird normalerweise mit Wurzelknöllchenbildung bei Leguminosen und Stickstofffixierung in Verbindung gebracht. Wie viele andere Knöllchenbakterien stimuliert auch dieses Bakterium das Immunsystem seiner Wirtspflanzen und induziert dadurch eine Resistenz gegenüber pathogenen Mikroorganismen. Dazu sendet E. meliloti chemische Botenstoffe aus, die in der Pflanze einen Signalweg auslösen, der zur Aktivierung von Abwehrmechanismen führt.

E. meliloti wird meist mit der Knollchenbildung in Verbindung gebracht. Es stimuliert aber auch das Immunsystem der Wirtspflanzen.
E. meliloti wird meist mit der Knollchenbildung in Verbindung gebracht. Es stimuliert aber auch das Immunsystem der Wirtspflanzen.
Wie sehen diese Abwehrmechanismen aus, was passiert in der Pflanze? Im Prinzip verfügen nahezu alle höheren Organismen über eine mehr oder weniger große Anzahl von Genfrequenzen, die inaktiv sind und manchmal auch ein Leben lang inaktiv bleiben. Von verschiedenen chemischen und/oder physikalischen Faktoren ist es dann abhängig, ob sich die Frequenz „einschaltet“ und damit bestimmte Stoffwechselprozesse in Gang setzt – oder eben nicht. Auch bei Pflanzen sind nicht alle Genfrequenzen jederzeit „eingeschaltet“, also aktiv. Durch den erwähnten Signalweg werden für die Verteidigung relevante Gene jetzt aktiviert: In der Folge werden die Pflanzenzellwände durch Auflagerungen verstärkt, Abwehrreaktion in den Spaltöffnungen durch verstärkte Anreicherung von Wasserstoffperoxid (H2O2) aktiviert, um das Eindringen von pathogenen Bakterien und Pilzen zu verhindern und ihr Wachstum in der Pflanze zu kontrollieren sowie vermehrt reaktive Sauerstoffspezies und Phenole gebildet.


Auch für den Menschen direkt nützlich

Die Aktivierung des pflanzlichen Immunsystems durch Mikroorganismen zeigt aber auch bei der Bekämpfung von humanpathogen Salmonellen (Salmonella typhimurium) seine Wirkung. Salmonelleninfektionen treten häufig in Verbindung mit dem Verzehr von verunreinigten Salaten und Sprossen auf. Salat und Sprossen kommen, vor allem beim biologischen Anbau, mit Naturdüngern und tierischen Ausscheidungen in Kontakt, die humanpathogene Erreger, wie Salmonellen und andere Darmbakterien, enthalten können. Da Salmonellen nicht nur die Pflanzenoberfläche besiedeln, sondern auch das pflanzliche Gewebe infizieren können, wirken auch hier die chemischen Botenstoffe (Quorum Sensing Moleküle) der bodenbürtigen Mikroorganismen und lösen im Salat und in den Sprossen eine Signalkaskade zur Mobilisierung und Stärkung des pflanzlichen Immunsystems und zur Erhöhung der Resistenz gegen den für Menschen schädlichen Erreger Salmonella thyphimurium aus. Eine erfolgreiche Erregerabwehr kann also bedeuten, dass die Menge an Bakterien, die der Mensch dann über den Salat aufnimmt, deutlich geringer ist.


Viel Potenzial für den Pflanzenschutz der Zukunft

Es stecken noch viele solcher Mikroorganismen in unseren Äckern, Wiesen und Weiden, doch ihre Interaktion mit den Pflanzen ist von der Wissenschaft noch nicht vollständig aufgeklärt. Erst wenn „der Code geknackt ist“, lässt sich der Sensibilisierungsmechanismus auch gezielt in der Pflanzenproduktion einsetzen. Die Verwendung von QS-Molekülen-produzierenden Bakterien ist eine potenzielle Methode zur Verbesserung der Pflanzenresistenz und zur Verringerung von Ertragsverlusten.

Die Konkurrenz zwischen den Mikroorganismen im Boden ist groß. In einem gesunden Boden herrscht ein mikrobielles Gleichgewicht. Wird dieses Gleichgewicht gestört, können sich schädliche Bakterien etablieren, nützliche werden zurückgedrängt. Deshalb ist es für die Landwirtschaft so wichtig, dieses ökologische Gleichgewicht zu erhalten, um schädliche Erreger erst gar nicht aufkommen zu lassen. Zwar ist Ecological engineering durch gezielten Eingriff in die Rhizosphäre eine Möglichkeit der Zukunft. Wir aber können jetzt schon diese Mechanismen nutzen, indem wir den Boden gesund erhalten. Die Zeit ist gekommen, nachhaltige Ansätze und umweltgerechte Pflanzenschutzmaßnahmen besser in die moderne Landwirtschaft zu integrieren.

Stand: 19.10.2018