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Winterbraugerste: Viel mehr als nur „Retterin in der Not“

Die Nachfrage nach Winterbraugerste ähnelte in den letzten 20 Jahren dem berühmten „Schweinezyklus“: Es ging ständig auf und ab. Läuft bei Sommergerste alles prima, will von Winterbraugerste niemand etwas wissen, geht was schief, ist der Ruf nach Winterbraugerste laut. Damit tut man dieser Kultur Unrecht, meint Dirk Hämke, Produktmanager für Braugetreide.

Es gibt viel versprechende Neuzulassungen bei Winterbraugerste
Es gibt viel versprechende Neuzulassungen bei Winterbraugerste

Obwohl die Winterbraugerste viele Vorteile gegenüber Sommerbraugerste hat, wurde sie oft in die Rolle „Retterin in der Not“ gedrängt und fand breite Akzeptanz immer dann, wenn bei der Sommerbraugerste etwas schief lief. Was eigentlich verwundert, denn Winterbraugerste hat eine Reihe von Vorteilen gegenüber der Sommerbraugerste: Sie liefert höhere Erträge, ist toleranter gegen Frühsommertrockenheit und kann früher geerntet werden. Hinzu kommt ein weniger bekannter qualitativer Vorteil, der besonders für die Brauer eine wichtige Rolle spielt: Aufgrund des Vegetationszyklusses ist der Fusariumdruck bei der Winterform deutlich geringer als bei der Sommergerste. Fusariumbefall gilt als mögliche Ursache für das Gushing, ein unkontrolliertes Überschäumen des Flaschenbieres. Bei Wintergerste tritt dieses Phänomen nicht oder weniger stark auf.


In schwierigen Jahren kann Winterbraugerste mehr

Nachdem der Winter 2017/18 relativ mild mit sonnigem kalten Finale in den Frühling überging, blieben die Niederschläge sehr schnell hinter den Durchschnittswerten der letzten Jahre zurück. Mit dem Supersommer stieg jedoch der Bierdurst der Deutschen und die Brauereien produzierten „für den Biergarten“. Um die Nachfrage nach Bier be­dienen zu können, waren sie bereit, auch bei solchen Mälzereien einzukaufen, die weit außerhalb ihrer normalen Einkaufsradien lagen.

Unter den mangelnden Niederschlägen litten viele Kulturen, unter anderem die Sommerbraugerste. Die Winterbraugerste des Jahrgangs 2018 konnte sich jedoch durch die relativ guten Niederschlagsmengen bis Mai annähernd normal entwickeln. Sie litt also deutlich weniger unter der Trockenheit, als vielerorts die Sommerbraugerste. Die Ergebnisse der Landessortenversuche zeigen, dass sich neben bewährten Sorten wie Wintmalt auch neue Sorten ertraglich behaupten können (Tab. 1).

LSV Winterbraugerste; Zum Vergrößern bitte anklicken
LSV Winterbraugerste; Zum Vergrößern bitte anklicken
Die Winterbraugerstenzüchter haben in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, die Erträge und Qualitäten zu verbessern. So wurden in den Jahren 2016 bis 2018 Erträge zwischen 8 und 10 t/ha bei Winterbraugersten erzielt. Damit liegen Winterbraugersten ertraglich etwas unter den Winterfuttergersten, allerdings deutlich über den Erträgen der Sommerbraugersten.

2018 wurden in Deutschland zwei neue zweizeilige Winterbraugersten zugelassen: eine aus bayerisch (Lyberac) und eine aus dänischer Züchtung (Zophia). Während sich Lyberac aufgrund ihrer Physiologie besonders gut für Anbauregionen eignet, in denen frühe Sorten nachgefragt werden, bietet sich Zophia als universell einsetzbare Sorte für alle Standorte an, die die Mälzereien durch ausgewogene Malzqualität überzeugen kann.


Die Qualitäten von Winterbraugersten haben aufgeschlossen

Die heutigen Sorten weisen durch die Bank Malzparameter auf, die sehr dicht an die Anforderungen der Sommergerstenmalz-Spezifikationen herankommen. Besonders die Extraktwerte und die Zellwandlösung wurden durch den Züchtungsfortschritt erheblich nach Wünschen der Verarbeiter verbessert. Die – qualitative – Unterscheidung von Sommer- und Winterbraugerste ist also nicht mehr gerechtfertigt. Das signalisieren immer mehr Verarbeiter.

Die Forderung der Gleichstellung der Winterbraugerste schließt auch den Anbau von mehrzeiliger Wintergerste zu Brauzwecken ein, denn aus Frankreich werden große Mengen mehrzeiliger Winterbraugerste importiert und vermälzt und die internationalen Konzerne versuchen verstärkt, den Anbau mehrzeiliger Winterbraugerste in Deutschland zu fördern, um die Transportkosten zu senken.


Vergleich Winterbraugerste Winterfuttergerste; Zum Vergrößern bitte Anklicken
Vergleich Winterbraugerste Winterfuttergerste; Zum Vergrößern bitte Anklicken
Ausland fragt mehrzeilige Winterbraugerste stark nach

Eine ebenfalls 2018 neu in der EU zugelassene Sorte könnte diese Lücke schließen. Hirondella ist als mehrzeilige Winterbraugerste malzqualitativ auf dem Niveau der bisher verarbeiteten Sorten. Für den Landwirt bringt sie einen wertvollen Vorteil mit: Sie ist resistent gegen den Gelbverzwergungsvirus (= BYDV). Der Einsatz von Neonikotinoiden ist europaweit stark eingeschränkt oder verboten. Hirondella ist die erste Braugerste mit dem BYDV Resistenz-Gen, die es auf die „grüne Liste der erlaubten Sorten“ einer internationalen Brauerei- und Mälzereigruppe schafft. Das bedeutet so viel wie: „Mälzereien dürfen uns Malz mit dieser Gerstensorte anliefern – wir machen daraus ein gutes Bier!“


Fazit

Die nächsten Monate bzw. Jahre werden uns zeigen, wie weit es mit dem neuerlich erklärten Willen der Brauereien und Mälzereien zum Einsatz von „Braugerste“ ohne weitere Differenzierung bestellt ist. Der für die Brauereien und Gastronomen bombastische Sommer 2018 führte zu leeren Malzsilos, die durch die knappe Ernte nicht durch Sommergerste alleine gefüllt werden können. Die Winterbraugersten stehen „Gewehr bei Fuß“, die prognostizierte Lücke zu schließen. Wenn jedes Glied in der Erfassungskette Saatgutlieferant – Landwirt –Erfasser – Mälzer – Brauer sich ein wenig risikofreudig zeigt, könnte die Braugerste zunehmend typ unabhängig rekrutiert werden.

 

Stand: 19.10.2018