Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Resistenzmanagement: Mission Wachstum – mehr Ertrag mit weniger Chemie

Mit der novellierten Düngeverordnung und den schwindenden Möglichkeiten des chemischen Pflanzenschutzes geht der Faktoreinsatz im Pflanzenbau weiter zurück. Steigende Erträge sind nur noch über eine höhere Faktorproduktivität zu erreichen – und diese in erster Linie über noch
leistungsfähigere, stickstoffeffizientere und gesündere Sorten.

Wertprüfungsparzelle: gesunde Sorte rechts
Wertprüfungsparzelle: gesunde Sorte rechts
Über Jahrzehnte waren die mineralische Düngung und der chemische Pflanzenschutz die wichtigsten Wachstumstreiber für steigende Erträge in zunehmend riskanteren Anbauverfahren. Die Bedeutung dieser Betriebsmittel geht jedoch bereits seit Jahren zurück. Mit der novellierten Düngereform wird die N-Versorgung der meisten Kulturpflanzen um ca. 10 % eingeschränkt und für die Zukunft faktisch gedeckelt. Der chemische Pflanzenschutz verliert gleich durch mehrere Entwicklungen an Bedeutung: Es werden immer weniger neue Wirkstoffe entwickelt und zugelassen, eingeführten Mitteln drohen Anwendungs­verbote, den verbleibenden Wirkungsverluste.


Resistenzmanagement: Fungizide schonen mit gesunden Sorten

Resistente Sorten sind zukünftig im intensiven Getreideanbau gefragt wie nie zuvor (Abb. 1). Denn vielen Fungiziden drohen durch die Selektion weniger sensitiver Schaderreger Wirkungsverluste. Gefährdet sind insbesondere neuere Wirkstoffe, die häufig sehr spezifisch wirken und zudem über ihre langanhaltende Wirkung erregerseitig einen sehr hohen Selektionsdruck aufbauen.

Schonung fungizider Wirkstoffe durch gesunde Sorten; alle Abbildungen zum Vergrößern bitte Anklicken
Schonung fungizider Wirkstoffe durch gesunde Sorten; alle Abbildungen zum Vergrößern bitte Anklicken
Ein konsequentes Resistenzmanagement schont die verbleibenden Wirkstoffe (Abb. 2). Die mit Abstand wirksamste Maßnahme dabei ist deren weniger häufige Anwendung – die wichtigste Voraussetzung hierfür sind gesunde Sorten. Diese tragen mit ihrem geringeren Behandlungsbedarf dazu bei, die Wirkung der Fungizide für die Situationen zu erhalten, in denen sie auch in Zukunft gebraucht werden.

 

Mit welchen Sorten gelingt es, Behandlungen einzusparen? Die wertvollsten Hinweise hierzu geben die Ergebnisse der LSV, wo die Sorten in mehreren Behandlungsintensitäten geprüft werden. Diese Ergebnisse fließen auch in die Einstufungen des Bundessortenamtes ein – die vor allem für neue Sorten wichtigste Informationsquelle: Je höher die Ertragseinstufung der unbehandelten Stufe 1 im Vergleich zur behandelten Stufe 2, umso weniger risikobehaftet ist ein reduzierter Fungizideinsatz (Abb. 3).

Fungizidbeadarf Winterweizen

Fungizidbeadarf Winterweizen


Analyse langjähriger Wertprüfungsergebnisse

Doch Sortenkenntnis allein reicht nicht, um die Möglichkeiten eines reduzierten Fungizideinsatzes abzuwägen. Dafür muss zusätzlich der spezifische Krankheitsdruck des Standorts und des Jahres berücksichtigt werden. Um hier mehr Sicherheit zu bekommen, wurden langjährige Daten der Wertprüfung analysiert (s. Erläuterungskasten unten). Diese ermöglichen es, Jahres-, Standort- und Sorteneffekte eines intensiven Fungizideinsatzes im Vergleich zu unbehandelt herauszuarbeiten. Die Ergebnisse sind sowohl für konventionell als auch für ökologisch wirtschaftende Betriebe interessant.

Bisher konnte man den Wertprüfungen vorwerfen, dass sie eher Idealbedingungen als die raue Praxis abbilden. Das hat sich geändert. Denn die Praxis geht weg von extremen Saatterminen und ungünstigen Vorfrüchten, die N-Düngung wird reduziert. Die Versuche der Wertprüfung Winterweizen standen (2016) zu etwa 85 % nach Blattvorfrucht (inkl. Mais) und wurden dabei im Mittel 188 kg N/ha gedüngt. Dieses Niveau entspricht in etwa der zukünftig maximal möglichen N-Düngung nach der Düngeverordnung.


Jahreseffekt der Fungizidbehandlung: -1 bis 12 dt/ha netto

Der Einfluss des Jahres mit seinem Witterungsverlauf und Infektionsgeschehen ist bei den meisten Krankheiten erst im Nachhinein zu bewerten. Umso wichtiger ist es, aus der Vergangenheit die Größenordnung des Jahreseinflusses auf das Krankheitsgeschehen im Hinterkopf zu haben. In dieser Analyse (Abb. 4) variiert der Mehrertrag durch Fungizide (und Wachstumsregler) zwischen 7,0 und 18,8 dt/ha – im Mittel der Jahre waren es 11,9 dt/ha. Am höchsten waren die Ertragsverluste durch Fungizidverzicht in den Gelbrostjahren 2014 und 2016, am geringsten 2011 und 2017. Korrigiert um 8,9 dt/ha für den Behandlungsaufwand betrugen die Jahreseffekte über alle Orte und Sorten 12,4 dt/ha bis -1,0 dt/ha, im Mittel 3,0 dt/ha!


Standorteffekt Behandlung
Standorteffekt Behandlung
Standorteffekt der Fungizidwirkung: 4 bis 26 dt/ha netto

Die Standorteffekte sind in Abb. 5 für diejenigen Prüforte beschrieben, bei denen Ergebnisse aus jedem der letzten fünf Jahre vorliegen. Ganz wichtig: Die Ertragswirkung der Fungizidbehandlung ist unabhängig vom Ertragsniveau des Standortes! Mit netto -4,6 dt/ha deckte sie in Greimersdorf bei vergleichsweise geringeren Parzellenerträgen nicht einmal die Behandlungskosten! Aber auch auf den Hochertragsstandorten Rauischholzhausen (HE) und Magdeburg (ST) fielen die Fungizideffekte mit netto 1,2 bis 2,2 dt/ha sehr gering aus. Der mit Abstand höchste Behandlungs­effekt über die Jahre und alle Sorten ist mit 16,8 dt/ha auf dem Marschstandort Schoonorth (NI) festzustellen. Mit Abstand folgen Standorte in weiteren großen Ackerbauregionen – Poppenburg (NI), Günzburg (BY) und Futterkamp (SH) – mit 8,1 bis 10,2 dt/ha Nettonutzen.


Sorteneffekt der Fungizidwirkung: 1 bis 8 dt/ha netto

Der Vergleich von Sorten ist vor allem beim Zulassungsjahrgang 2017 interessant, weil dieser die außergewöhnlich „kranken“ Prüfjahre 2014 und 2016 beinhaltet, sozusagen als „Worst-Case-Szenario“. Verglichen werden konnten (siehe Abb. 6):

  • drei Neuzulassungen mit sehr geringem Fungizidbedarf Beryll E, Chiron A, Sacramento B.
  • zwei zu diesen passende Neuzulassungen und eine Verrechnungssorte mit mittlerem Fungizidbedarf: Eternity E, Imposanto B, Rumor B.

Die beiden Sortengruppen unterscheiden sich bei vergleichbarem Ertragsniveau in der behandelten Stufe 2 erheblich in ihrer Resistenzausstattung. Zum Beispiel Chiron A, die gesündeste Sorte: diese wird bei Mehltau, Gelbrost, Braunrost, Blattseptoria und Ährenfusarium durchgängig mit der Ausprägungsstufe 3 oder besser beschrieben – bei gleichzeitig guter Winterhärte, Standfestigkeit und Vermarktungsqualität. In Stufe 2 ist sie ertraglich gleich hoch wie die bekannte Sorte Asano (6) eingestuft, in Stufe 1 hingegen 5 Klassen besser (8)! Die drei Sorten mit mittlerem Fungizidbedarf besitzen eine Resistenzaustattung, wie sie gegenwärtig bei verbreiteten Sorten vorherrscht, sie sind ertraglich in Stufe 1 und 2 gleich, d. h. im Mittel mit 6,3 eingestuft. Die Sorten mit geringem Fungizidbedarf sind in der unbehandelten Stufe 1 ebenfalls mit 6 eingestuft, in der behandelten Stufe 2 hingegen zwei Ausprägungsstufen ertragreicher mit 8. Ihre „genetische Basisleistung“ in Stufe 1 ist um durchschnittlich 5,5 dt/ha höher als die der mittelanfälligen Sorten – in „kranken“ Jahren sogar um ca. 10 dt/ha!

Kostenkorrigiert brachte die Fungizidbehandlung bei den durchschnittlich gesunden Sorten 8,1 dt/ha mehr, war also im Mittel der Jahre hochwirtschaftlich (Abb.6).

Sorteneffekt Behandlung
Sorteneffekt Behandlung
Bei den Sorten mit geringem Fungizidbedarf war im Mittel lediglich ein Netto-Mehrertrag von 1,3 dt/ha zu erzielen. 25 €/ha netto mehr mit drei Fungizidbehandlungen, unter Berücksichtigung der beiden „kränksten“ Jahre der letzten Dekade: Bei diesen Ergebnissen ist offensichtlich, dass eine geringere Fungizidintensität bei gesunden Weizensorten möglich und i. d. R. auch wirtschaftlich ist.

Doch was bedeutet das konkret? Entscheidend für die Praxis ist am Ende das Zusammenwirken der Sorten-, Standort- und Jahreseffekte, nur dann ist eine fundierte Chance/Risiko-Abwägung möglich. In den Abbildungen x und Y ist  dies detaillierter dargestellt. Fazit: Bei den gesunden Sorten war ein vollständiger Fungizidverzicht in 50 % der Anbausituationen mit wirtschaftlichen Einbußen verbunden, das Ertragsrisiko lag bei max. 25 dt/ha. Bei den mittel anfälligen Sorten war der Fungizidverzicht in 70 % der Versuche unwirtschaftlich. Zudem war das Ertragsrisiko viel höher: Es reichte auf Befallsstandorten bis 42 dt/ha, bei der 2014 noch mitgeprüften anfälligen Vergleichssorte Asano sogar bis 65 dt/ha!


Hauptproblem ist unsere Risiko-Aversion

Die Schlussfolgerungen aus dieser Analyse: Ein wirkungsvolles Resistenzmanagement mit weniger Fungizidbehandlungen als bisher muss nicht mit unvertretbaren Ertragsrisiken und wirtschaftlichen Einbußen verbunden sein. Vielmehr ist auf den meisten Standorten mit gesünderen Sorten der Verzicht auf einzelne Maßnahmen pro­blemlos möglich und zudem wirtschaftlich. Der ökonomische Aspekt ist hier auch deshalb wichtig, weil die meisten Krankheiten (auch) windbürtig sind, Resistenzmanagement also nur als Gemeinschaftsaktion funktioniert. Freiwillige Maßnahmen zum Nutzen aller müssen also mit individuellen Vorteilen verbunden sein. Genau das ist hier der Fall!

Die schlagspezifische Fungizidstrategie ist mithilfe der regionalen Pflanzenschutzberatung zu entwickeln. Diese sollte die Sortenresistenz mit gesunden Fruchtfolgen und Anbauverfahren unterstützen, statt sie – wie oft genug in der Vergangenheit – mit riskanten Anbauverfahren zu „verbrauchen“. Im integrierten Pflanzenschutz kann man auf Fungizide am ehesten zu Beginn und Ende der Behandlungszeiträume verzichten. Die entscheidenden Maßnahmen in der Schossphase sind zeitgerecht zu applizieren, mit Wirkstoffwechsel und Wirkstoffkombination, optimaler Aufwandmenge und Ausbringung – all dies gehört auch zum Resistenzmanagement.

Ertragswirkung ohne Behandlung/geringer Fungizidbedarf
Ertragswirkung ohne Behandlung/geringer Fungizidbedarf
Ertragswirkung ohne Behandlung/hoher Fungizidbedarf
Ertragswirkung ohne Behandlung/hoher Fungizidbedarf

Zahlreiche Versuchsergebnisse belegen immer wieder aufs Neue, dass der züchterische Fortschritt – kostenkorrigiert – mehr Ertrag mit weniger chemischem Pflanzenschutz ermöglicht. Trotzdem zeigt die Erfahrung, dass wir uns im Zweifel eher für die sichere Variante mit mehr Ertrag entscheiden, selbst wenn diese unwirtschaftlich ist. Der Grund: Mit unserer angeborenen Verlust-Aversion bewerten wir Risiken deutlich höher als Chancen gleicher Größenordnung. Das eigentliche Problem ist deshalb nicht ökonomischer, sondern psychologischer Natur: Sind wir bereit, einen höheren Krankheitsbefall zu tolerieren – und damit verbunden auch stärker schwankende und geringere Erträge? Können wir „untätig“ sein, wenn um uns herum die Spritzen fahren? Nur mit der Bereitschaft, Chancen und Risiken auch mental neu zu bewerten, können wir integrierten Pflanzenbau leben. Am leichtesten lässt sich dies mit „von Natur aus“ gesunden Pflanzenbeständen trainieren.

Sven Böse

Datengrundlage Wertprüfung

Verrechnet wurden die Zulassungsjahrgänge 2010 bis 2018 mit den jeweiligen Ertragsergebnissen der drei zurückliegenden Jahre. Zum Zulassungsjahrgang 2017
gehören z. B. die Daten von
- 124 Prüfgliedern auf 13 Orten 2014 in Sortiment 1
- 67 Prüfgliedern auf 14 Orten 2015 in Sortiment 2
- 34 Prüfgliedern auf 16 Orten 2016 in Sortiment 3

Insgesamt standen je 24.192 Datensätze für den Vergleich der Behandlungsstufen 1 und 2 zur Verfügung.

Die Behandlungsstufen
Stufe 1: standortangepasst Herbizide und Insektizide
Stufe 2: standortangepasst zusätzlich Fungizide und Wachstumsregler

Dabei dominieren in Stufe 2 die Fungizideffekte: Die Ergebnisse fallen ähnlich aus, auch wenn Versuche mit stärkerem Lagerauftreten von der Verrechnung ausgeschlossen werden

Wirtschaftlichkeitsberechnung
In Stufe 2 wurden die Versuche im Mittel 2,8-mal mit Fungiziden behandelt, zusätzlich 2- bis 3-mal mit Wachstumsreglern. Die unterstellten 160 €/ha Behandlungs-
kosten (für Fungizide) sind bei einem Erlös von 18 €/dt Weizen ertragsbezogen mit 8,9 dt/ha kalkuliert.

 

 

 

Stand: 30.04.2018