Aktuelle Ausgabe 01/2024

Ausgaben

Sonderausgaben

Themen

Abonnement

Impressum

Datenschutzerklärung

Cookie-Einstellungen

Brauchen wir ein neues Gentechnikgesetz?

Seit das CRISPR/Cas9-System 2012 erstmals eingesetzt wurde, wird diese Weiterentwicklung molekulargenetischer Methoden aufgrund ihres enormen Potenzials als „Revolution“ bezeichnet – und dies branchenübergreifend. Diese „Genomchirurgie“ hat eine Debatte darüber ausgelöst, was in der Pflanzenzucht als „gentechnisch veränderter Organismus“ bezeichnet und entsprechend reguliert werden muss und was nicht.

Ohne moderne Zuchtmethoden geht es nicht. Aber ob Gentechnik oder nicht - Rechtssicherheit ist wichtig.
Ohne moderne Zuchtmethoden geht es nicht. Aber ob Gentechnik oder nicht - Rechtssicherheit ist wichtig.
In einer gemeinsam von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, dem Deutschen Ethikrat und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Berlin ausgerichteten Diskussionsveranstaltung ging es um die Frage: „Brauchen wir ein neues Gentechnik-Gesetz und wenn ja, wie sollte dies aussehen?“


Exkurs – was ist CRISPR/Cas?
Seit Jahrzehnten versucht man, die DNA zu erforschen – nicht nur die Basensequenzen, sondern auch deren Wechselspiel, das Aktivieren und Inaktivieren bestimmter Funktionen. Um herauszufinden, welche Funktion z.B. eine bestimmte Base hat, muss man diese gezielt verändern. Die für die gezielte Modifikation der DNA-Sequenz mittels zelleigener Enzyme (Genom Editierung; engl. Genome Editing) zur Verfügung stehenden Methoden waren bisher relativ teuer und aufwendig. Mit der CRISPR/Cas9-Methode steht nun aber ein Verfahren zur Verfügung, das schnell, präzise, sehr effektiv und kostengünstig ist.

So funktioniert CRISPR/Cas

 


Ist CRISPR/Cas Gentechnik oder nicht?
Diese Methode (siehe Abbildung) kann zu punktgenauen Mutationen führen, und die Pflanzen wären in nichts von denen aus klassischer Züchtung zu unterscheiden. Sollte trotzdem das Gentechnikgesetz greifen?

Eine solche Fragestellung lässt sich grundsätzlich aus drei Perspektiven betrachten: aus der naturwissenschaftlichen, aus der rechtlichen und aus einer ethischen.


Anpassung an technischen Fortschritt notwendig
Im naturwissenschaftlichen Block der Tagung kam zunächst Prof. Dr. Dr. h.c. Detlef Weigel, Pflanzengenetiker und Evolutionsbiologe, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, zu Wort. Er stellte klar, dass gentechnisch veränderten Organismen durch das Gentechnikgesetz präziser als bisher definiert werden müssten. „Pflanzen, die sich vom Ergebnis natürlicher Kreuzungen nicht ohne Weiteres unterscheiden lassen, dürfen nicht als gentechnisch verändert gelten.“

Auch der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Prof. Dr. Dr. h.c. Urs Niggli, zeigte eine grundsätzlich offene Einstellung zu der neuen Züchtungsmethode. „Bei wichtigen Zielen des nachhaltigen Pflanzenbaus – der Steigerung der Nutzungseffizienz der natürlichen Ressourcen und der Reduktion von Düngern und Pflanzenschutzmitteln – können die Methoden der Pflanzenzüchtung einen entscheidenden Beitrag leisten.“ Allerdings, so betonte der Agrarwissenschaftler, sei Pflanzenzüchtung neben dem Einsatz modernster Technik und der Nutzung von Symbiosen und Fruchtfolgeeffekten eben nur ein weiteres Element zur Lösung aktueller Probleme der Landwirtschaft. „Die auf die beschleunigte Mutation setzenden neuen Züchtungstechniken zeigen ebenfalls vielversprechendes Potenzial. Hier zeigt sich bereits nach fünf Jahren Forschung, dass durch Ausschalten, Ändern und Einfügen von nativen Genen die Grundlagen für Züchtungsprogramme für nachhaltige Anbausysteme geschaffen werden können.“ Auch er ist für eine Überarbeitung des Gesetzes, das zukünftig auch den Zusammenhang von Pflanzenzüchtung zu weiteren Systemen wie Ökologie, Ökonomie, Sozialwirtschaft in Beziehung setzen müsse.

Dr. Jon Falk, SAATEN-UNION BIOTEC GmbH
Dr. Jon Falk, SAATEN-UNION BIOTEC GmbH
Dr. Jon Falk, Geschäftsführer der SAATEN-UNION BIOTEC GmbH: „Unserer Meinung nach fallen Pflanzen mit Punktmutationen, die mithilfe von Genome Editing Methoden erzeugt wurden, nicht in den Geltungsbereich des Gentechnikrechts, da das Endprodukt keinerlei fremde oder rekombinante DNA enthält und sich daher nicht von klassisch gezüchteten Pflanzen unterscheidet. Eine eindeutige Rechtssicherheit ist hier besonders wichtig: Denn ohne Klarheit für den Umgang mit neuen Züchtungsmethoden werden insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen diese Methoden wegen des dann notwendigen enormen Regulierungsaufwandes nicht nutzen können und würden damit in ihrer Wettbewerbsfähigkeit stark eingeschränkt.“

Dynamische Gesetzgebung erforderlich
Eine Möglichkeit der Interpretation des Gesetzes aus rechtlicher Sicht stellte Jens Kahrmann (Stabsstelle Juristische Angelegenheiten der Gentechnik im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) vor. Er betonte, dass die derzeitige Definition des genetisch veränderten Organismus (GVO) technisch auf dem Stand von 1990 sei.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte durchaus entscheiden, dass die Erzeugung von Mutationen an einer gezielten Stelle im Erbgut von Organismen mittels Genome Editing nicht dem Gentechnikrecht unterfällt: „Dieses Urteil wäre konsequent, da Mutationen jederzeit natürlich entstehen können und die ungezielte Erzeugung von Mutationen seit Jahrzehnten in der Pflanzenzucht zulassungsfrei praktiziert wird.“ Falls der EuGH aber anders entscheide, könnte die gezielte Erzeugung von Mutationen in der EU nicht als Züchtungstechnik eingesetzt werden.  Das Gesetz müsse mittelfristig an den technologischen Fortschritt angepasst werden. „Meine Hoffnung ist, dass dabei eine Regulierung zustande kommt, die von wissenschaftlicher Erkenntnis und nicht von Ängsten getragen ist. Diese sollte auf die Neuartigkeit eines Organismus abgestellt sein und angemessene Verfahrensvorschriften beinhalten.“

Auch Prof. Dr. Dr. Tade M. Spranger von der Universität Bonn sieht das Gentechnikgesetz in seiner jetzigen Form als veraltet an. Es gehe von Voraussetzungen aus, die heute nicht mehr passen.

Anders als in technischen Bereichen, bei denen eine ähnlich rasante Entwicklung vorläge, wäre die Richtlinie 2001 nicht dynamisch formuliert und würde auch keiner regelmäßigen Überprüfung unterzogen werden.

Ohne diese dynamischen Verweisungen muss nach Ansicht von Spranger diese Richtlinie dazu führen, dass CRISPR/Cas als Gentechnik eingestuft wird. „Ich bin der Meinung – das ist meine Interpretation – wir haben es hier mit einer Genehmigungspflicht zu tun.“


Züchtungsfortschritt nicht um jeden Preis
Prof. Dr. Peter Dabrock, Theologe und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, sah eine Schwierigkeit in der aktuellen Diskussion darin, dass derselbe Sachverhalt je nach Kontext und Perspektive sehr unterschiedlich interpretiert werden könne. Den Begriff „Natürlichkeit“ könne man aus einem lebensweltlichen oder auch einem philosophischen Verständnis heraus definieren oder auch naturalisierend. Er sieht die Naturalisierungstendenz zzt. als die dominierende. Jedoch ringen die drei Ansätze um die gesellschaftliche Deutungshoheit. Eine Aufgabe der Ethikkommission sei es, diese drei Dimensionen ins Gespräch zu bringen.

Einen völlig anderen ethischen Aspekt brachte Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Stroebe, PhD (Professor der Sozialpsychologie, Universität Groningen, Niederlande, Mitglied der Leopoldina) ins Spiel. Nämlich die Frage nach der Meinung und Mündigkeit der Verbraucher. Eine Umfrage (Eurobarometer, 2010) habe ergeben, dass für Verbraucher der Prozess der Erzeugung ebenso wichtig oder sogar wichtiger zu sein scheint, als die biologische Ähnlichkeit zwischen den Ergebnissen genetischer Veränderung und traditioneller Züchtung. „Deshalb sollten auch nach der empfohlenen Gesetzesänderung alle genetisch veränderten Pflanzen, unabhängig von ihren spezifischen Eigenschaften oder der Methode, die zur Veränderung genutzt wurde, als genetisch verändert gekennzeichnet werden.“

Alle Redner, Organisatoren und Besucher der Veranstaltung eint sicher die gespannte Erwartung auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Von diesem hängt viel ab: für die Züchter, die Landwirte genauso wie für die Verbraucher.

 

Dr. Anke Boenisch

 

 

 

Stand: 28.04.2017