Aktuelle Ausgabe 01/2024

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50 Jahre Zukunft!

Das Jubiläum der SAATEN-UNION ist der Anlass, einmal weit in die Zukunft zu schauen.  Beispiel Weizen: Um knapp 1 dt/ha jährlich sind die Weizenerträge seit 1965 gestiegen – erst steil, dann abnehmend, jetzt nach jahrelanger Stagnation wieder mit Aufwind.

Die neue hochmoderne Saatgutaufbereitungsanlage des Gesellschafters der SAATEN-UNION, W. von Borries-Eckendorf, dominierte optisch den Feldtag zum 50-jährigen Jubiläum.
Die neue hochmoderne Saatgutaufbereitungsanlage des Gesellschafters der SAATEN-UNION, W. von Borries-Eckendorf, dominierte optisch den Feldtag zum 50-jährigen Jubiläum.
Was bringen die nächsten 50 Jahre?
Die Jahre 2002 bis 2012 waren für die Ertragsentwicklung des Getreides ein verlorenes Jahrzehnt. Bei sehr hohen Ausschlägen stagnierte die Ertragsentwicklung bei allen Getreidearten. Als Ursachen wurden in erster Linie der Klimawandel diskutiert, eine abnehmende Anbauintensität und immer wieder auch der mangelnde Zuchtfortschritt. Heute, mit ein wenig Abstand, können wir die Entwicklung besser einordnen:


  1. Wie die Ernten 2013 und vor allem 2014 zeigen, sind weiterhin hohe Erträge möglich, sogar deutliche Ertragssteigerungen. 46 dt/ha mehr Korn in den vergangenen 50 Jahre sind nicht das Ende, der Trend zeigt weiter nach oben!
  2. Der züchterische Ertragsfortschritt ist bis heute ungebrochen: Aktuelle Weizensorten dreschen behandelt 17 dt/ha mehr als die von 1965, hinzu kommt die bessere Standfestigkeit, Gesundheit und Qualität. Dies belegt der direkte Vergleich alter und neuer Sorten (Ahlemeyer und Friedt 2012, siehe praxisnah 3/2012).
  3. Die hohen Ertragsschwankungen relativieren sich bei längerfristiger Betrachtung. In den 70er-Jahren – und noch mehr in historischen Zeiträumen – schwankten die Erträge kaum weniger stark um ihren Mittelwert als in den letzten 15 Jahren!

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Diese Feststellung ergibt sich bei „fairer“ Darstellung der Entwicklung. Um diese in der richtigen Verhältnismäßigkeit zu verstehen, ist sie logarithmisch zu skalieren (Abb. 1). Denn der Anstieg der Erträge von 20 auf 40 dt/ha entspricht genauso einer Verdopplung wie der Anstieg von 40 auf 80 dt/ha. Logarithmisch wird dies mit gleichen Abständen auf der y-Achse so dargestellt! Gleiches gilt für die Bewertung der Ertragsschwankungen: Aus Sicht der Betroffenen waren die relativen Ertragsausschläge in den 70er-Jahren kaum geringer als heute! Ein weiterer Vorteil der logarithmischen Skalierung: Der Ertragstrend ist statt linear zutreffender als degressiv steigend dargestellt, 1 dt/ha ist heute relativ weniger als früher.

Was waren bisher die Ertragstreiber?
Der steile Ertragsanstieg bis Ende der 90er-Jahre wurde vor allem durch einen höheren Faktoreinsatz und Innovationen beim Pflanzenschutz erreicht. Nach Zulassung des Wachstumsregulators CCC im Jahr 1966 wurde die N-Düngung intensiviert. Gleichzeitig wurde mit immer leistungsfähigeren Schleppern die Krume vertieft.

1969 gab es als Fungizide die Morpholine, 1973 die ersten Azole, „Gelbspritzmittel“ und Wuchsstoffe wurden durch Kombinationsherbizide ersetzt.

Zusammen mit immer leistungsfähigeren, gesünderen und vor allem standfesteren Weizensorten kam es in den 70er und 80er-Jahren in West- und Ostdeutschland zu einer gewaltigen Intensivierung des Getreidebaus. Der Saattermin wurde vorgezogen, die N-Düngung um 50 % erhöht, der Wachstumsregler- und Fungizideinsatz Standard.

Der schnelle Ertragsanstieg um durchschnittlich 2 % jährlich von 1965 bis 1995 ist umso beachtlicher, als sich der Weizenanbau in diesem Zeitraum von 1,9 auf 2,6 Mio. (heute 3,2 Mio.) Hektar ausdehnte. Der zusätzliche Anbau erfolgte auf weniger weizenfähigen, also ungünstigeren Standorten und dazu standen bundesweit bis zu 20 % des Weizens wenig vorteilhaft in Selbstfolge.

Das Sortenspektrum in den alten Bundesländern war bis Anfang der 70er-Jahre durch Jubilar bestimmt, 1975 dominierte Caribo B, 10 Jahre später die B-Sorten1 Kanzler, Okapi, Ares sowie die A-Sorte Kraka (nach heutiger Qualitätseinstufung). Im Gebiet der ehemaligen DDR prägten zunächst russische Sorten wie Miro 808 die Sortenlandschaft, danach viele Jahre die B-Sorte Alcedo. Nach der Wiedervereinigung bestimmten Orestis B, Astron A und Borenos E die Sortenlandschaft, Mitte der 90er-Jahre dann Bussard E, Ritmo B und Zentos E.

Dabei waren die bessere Standfestigkeit und Gesundheit der jüngeren Sorten zwar Voraussetzung für die gewaltigen Ertragssteigerungen in diesem Zeitraum. Jedoch hatten die Neuzüchtungen direkt an den Ertragssteigerungen dieser Jahre nur einen untergeordneten Anteil: Mindestens drei Viertel der Mehrerträge 1965–1995 resultierten aus einer verbesserten Ackerkultur, einer intensiveren Bestandesführung und effektiverem Pflanzenschutz.

Was bringen die nächsten fünf Jahrzehnte?
Die aktuellen und wohl auch zukünftigen regulativen Rahmenbedingungen führen zu stärker aufgelockerten, gesünderen Fruchtfolgen bei gleichzeitig zurückgehender Anbauintensität infolge gedeckelter N-Düngung. Einen Extensivierungseffekt haben auch Resistenzbildungen bzw. Anbaurestriktionen bei Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden. Wie im vorherigen Beitrag erläutert, ist trotz des sinkenden Faktoreinsatzes Rahmenbedingungen wohl auch weiterhin eine hochproduktive Pflanzenproduktion möglich. Mit eher weniger Stickstoff und Pflanzenschutz, dafür mehr gutem Acker- und Pflanzenbau – und einer steigenden Faktorproduktivität infolge des biologisch-technischen Fortschritts.

Unterstellt wird dabei ein Klimawandel, der sich zwar auf die Schwankung, jedoch nicht auf die mittlere Höhe der Erträge auswirkt. Positive Effekte wie eine Verlängerung der Jugendentwicklung oder der CO2-Düngungseffekt heben sich also mit negativen Effekten auf. Zu diesen zählen die Verkürzung der generativen Wachstumsphase sowie häufigere Hitzetage während der Kornfüllung.

Für einen Ausblick in die fernere Zukunft geben bisherige Entwicklungen wertvolle Hinweise. Dabei gilt: Solange keine grundsätzliche Änderung der Rahmenbedingungen eintritt, ist die Fortsetzung des aktuellen Ertragstrends das wahrscheinlichste Ereignis. Dieser ist aufwärts gerichtet (Abb. 1), wenn auch mit relativ abnehmenden Zuwächsen und geringerer Bestimmtheit. Hinzu kommt gerade bei Getreide ein seit Langem ausgereiftes Anbauverfahren, das keine dramatischen Änderungen erwarten lässt.

Und schließlich: In jüngster Vergangenheit wurden mehrere technologische Schwellen überschritten, deren langfristige Auswirkungen vorstellbar sind. Dabei ermöglichen agrartechnische Innovationen – von Precision Farming über Smartfarming bis hin zu autonomer Arbeitserledigung – einen weiter sinkenden Faktoreinsatz. Sie erhöhen die Arbeitsproduktivität, sparen Betriebsmittel, schonen den Boden und verringern Nährstoffverluste. Ihr Einfluss auf die weitere Ertragsentwicklung ist jedoch begrenzt.

2: Gemeint ist hier die „Totale Faktorproduktivität“ (TFP), jener Teil der Produktivität, der nicht auf Arbeit und Kapital, sondern auf Fortschritt und Effizienzsteigerung beruht.


Weitere Ertragssteigerung vorrangig über Zuchtfortschritt
Wenn die Erträge zukünftig weiter steigen, dann nicht durch einen steigenden Faktoreinsatz. Dieser ist, wie erläutert weiter rückläufig. Weitere Ertragssteigerungen sind damit allein über eine höhere Faktorproduktivität2 möglich. Diese steht für eine effektivere Nutzung der Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital – also Fortschritt bzw. Innovation!

Der Anteil des Zuchtfortschritts an der gegenwärtigen Steigerung der Faktorproduktivität wird je nach Fruchtart auf 50–70 % geschätzt, Tendenz steigend!

In Abb. 2 sind die Entwicklungen der letzten fünf Dekaden für Winterweizen zusammengefasst und in die Zukunft projiziert.

  1. Bis zur Dekade 1996–2005: Ertragssteigerung hauptsächlich über steigenden Faktoreinsatz bei Düngung, Pflanzenschutz und Bodenbearbeitung sowie Innovationen beim Pflanzenschutz.
  2. Ab der Dekade 1996–2005: Faktoreinsatz abnehmend;
  3. Ertragsteigerungen allein über steigende Faktorproduktivität durch Innovationen v.a. in den Bereichen Züchtung und Technologie
  4. Anteil der Züchtung an der höheren Faktorproduktivität: Bis zur Dekade 1976–1985 eher untergeordnet, ab 2006–2015 ausgehend von 50 % zunehmend dominierend mit bis zu 70 % Anteil.
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Mit Hybridweizen 100 dt/ha Bundesschnitt?
Die zukünftige Ertragsentwicklung bei Winterweizen wird maßgeblich von der weiteren Entwicklung der Hybridzüchtung bestimmt. Bisher wurde nur in der SAATEN-UNION und dort auch nur ein Teil der Züchtungsbudgets in die Entwicklung von Weizenhybriden investiert. Diese Programme wurden in den letzten Jahren beträchtlich erweitert und mittlerweile investieren auch andere Zuchtunternehmen sowie Multis in die Entwicklung von Weizenhybriden.

Gegenwärtig haben Weizenhybriden bereits in Frankreich und Südosteuropa eine größere Anbaubedeutung. In Deutschland sind sie eine spezielle Lösung für Stressstandorte. Angesichts der erheblichen Aufwendungen in Forschung und Entwicklung ist davon auszugehen, dass Weizenhybriden in den kommenden Dekaden auch auf den Hochertragsstandorten Mitteleuropa zunehmend größere Bedeutung erlangen.

Bei der Schätzung der Ertragsentwicklung wird für die breite Einführung der Hybriden in den kommenden Jahrzehnten eine kommerzielle Heterosis3 von 8 % Ertrag unterstellt. Im Projekt HYWHEAT4 lag der Mehrertrag der besten Experimentalhybride 9,3 % über der Verrechnungssorte Tobak! Zu diesem einmaligen Ertragssprung durch den Siegeszug der Hybridsorten kommt der weitere kontinuierliche züchterische Ertragsfortschritt. Dieser wird im Hinblick auf weitere anspruchsvolle Zuchtziele eher vorsichtig mit 0,25 dt/ha jährlich kalkuliert, in den vergangenen Jahrzehnten betrug er 0,34 dt/ha5.

Mit einem gewissen Optimismus also, aber durchaus begründet, lässt sich aus diesen Entwicklungen ein genetisch bedingter Ertragsfortschritt von 20 dt/ha für die nächsten fünf Dekaden abschätzen, im Mittel 0,4 dt/ha jährlich bezogen auf den konventionellen Anbau.

Ertragsentwicklung/zum Vergrößern anklicken
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In Abb. 3 wird die eingangs vorgestellte logarithmische Ertragsfunktion um diese Ertragsentwicklung erweitert (Szenario 1). In Szenario 2 sind politische Anbaurestriktionen unterstellt, die deutlich über die absehbaren Beschlüsse hinausgehen und den Ertragszuwachs auf 0,2 dt/ha jährlich halbieren.


Fazit
Unter den beschriebenen Annahmen könnte der Ertragszuwachs im Mittel der kommenden 50 Jahre bei 0,2 bis 0,4 dt/ha jährlich liegen und damit den Bundesschnitt auf 90 bis 100 dt/ha Weizen steigern. Diese Wachstumsraten wären geringer als die der letzten Jahrzehnte, sind jedoch bei weiter sinkendem Faktoreinsatz überwiegend durch Zuchtfortschritt zu stemmen!

Sven Böse

3: Mehrertrag der Hybride gegenüber der besten vergleichbaren Liniensorte
4: Ein 2011 gestartetes Forschungsprojekt, bei dem 1.600 Testhybriden zweijährig und mehrortig getestet wurden.
5: Ahlemeyer und Friedt 2012, siehe praxisnah 3/2012

 

 

 

 

Stand: 17.06.2015