Lohnt Haferzüchtung überhaupt noch?
Die sinkenden Anbauflächen stellen die meist privatwirtschaftlich organisierte Haferzüchtung vor große Herausforderungen. Die Züchter stehen einerseits vor der Frage, welcher züchterische Aufwand bei Hafer zukünftig überhaupt noch ökonomisch nachhaltig betrieben werden kann. Andererseits bedarf jedes erfolgreiche Züchtungsprogramm einer gewissen „kritischen Masse“. Wird deren Grenze z.B. im Rahmen von Einsparungen unterschritten, besteht das Risiko, dass aufgrund der dann fehlenden genetischen Variabilität kein Zuchtfortschritt mehr möglich ist. Das Zuchtprogramm müsste dann aufgegeben werden.
Wenige, aber leistungsfähige Zuchtprogramme
Nicht zuletzt aus diesem Grund sind in den vergangenen Jahren viele Züchter in Deutschland bei zurückgehender Haferanbaufläche ganz aus der Hafersortenzüchtung ausgestiegen. Die Anzahl der neu zugelassenen Sorten konnte hingegen weitgehend konstant gehalten werden, was für die Leistungsfähigkeit der verbliebenen deutschen Haferzuchtprogramme spricht. In vielen europäischen Ländern ist die Haferanbaufläche mittlerweile so klein, dass sich private nationale Zuchtprogramme nicht mehr lohnen. Neben Deutschland gibt es heute nur noch in einigen großen Haferanbauländern wie Schweden, Finnland, der Tschechischen Republik und Polen ausschließlich privat finanzierte Haferzuchtprogramme, die gleichzeitig auch über die erforderliche Größe für eine nachhaltig erfolgreiche Sortenentwicklung verfügen.
Breite genetische Vielfalt als Basis für Zuchtfortschritt
Der in Deutschland führende Haferzüchter ist die Nordsaat Saatzucht GmbH. In dem Unternehmen hat man schon vor einigen Jahren versucht, sich durch die Umstrukturierung des Haferzuchtprogramms diesen Herausforderungen zu stellen. Hier ist man davon überzeugt, dass genetische Vielfalt die Basis für jede erfolgreiche Sortenzüchtung und anhaltenden Zuchtfortschritt darstellt. Daher wird durch umfangreichere Kreuzungen in Verbindung mit der verstärkten Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen (z.B. aus Genbanken) versucht, der sich abzeichnenden Verengung der genetischen Vielfalt zu begegnen. Dieses sogenannte „Pre-breeding“ (deutsch: „Vorzüchtung“) liegt in Deutschland in der Regel in der Hand öffentlicher Institutionen.
Leider gibt es aber auch in der öffentlichen Züchtungsforschung bei Hafer mittlerweile nur noch wenige Aktivitäten. Rühmliche Ausnahme ist z.B. das Julius Kühn-Institut in Groß Lüsewitz bei Rostock. Daher sah sich die Nordsaat gezwungen, diese sehr aufwendige Arbeit neben der eigentlichen praktischen Sortenentwicklung verstärkt selbst vorzunehmen.
Ökologische Streubreite als Erfolgsfaktor
Darüber hinaus wird innerhalb der Zuchtarbeit versucht, Hafersorten mit einer möglichst hohen ökologischen Streubreite zu entwickeln, sodass eine Sorte später eine Anbaueignung für mehrere Länder aufweist. Als Sommerung mit vergleichsweise hohem Wasseranspruch reagiert Hafer sehr stark auf Boden-, Klima- und Witterungseinflüsse. Daraus resultieren in verschiedenen europäischen Haferanbauregionen sehr unterschiedliche Anforderungen an Hafersorten. Daher wurde das gesamte Zuchtmaterial in unterschiedliche Genpools eingeteilt, aus denen die unterschiedlichen Anbauregionen „bedient“ werden (Abb. 1).
Das sehr breit angelegte Feldversuchsnetz der Nordsaat bei Hafer, das in Europa aus über 50 Versuchsorten in allen relevanten Anbauregionen besteht, ermöglicht anschließend eine erfolgreiche Selektion. Dass diese Strategie hocherfolgreich ist, beweist die etablierte Weißhafersorte Ivory. In 15 europäischen Staaten Mittel-, Nord- und Osteuropas zwischen Luxemburg und Sibirien konnte sich diese Sorte bis heute den weltweit größten Anbauraum einer Hafersorte überhaupt erschließen. Die Sorte Scorpion durchläuft zurzeit eine ähnlich erfolgreiche Entwicklung. Sie hat sich mittlerweile im Anbau bei Europas Landwirten zur größten Gelbhafersorte entwickelt.
Auch die 2011 in Dänemark neu zugelassene Weißhafersorte Symphony könnte ähnlich erfolgreiche Wege beschreiten. Die zum Zeitpunkt der Drucklegung vorliegenden Ergebnisse zum Kornertrag von Symphony sind in der Tabelle 1 zusammengefasst worden. Sie zeigen eine beeindruckende Leistungskonstanz in fünf Ländern Europas. Eine mögliche Sortenzulassung von Symphony in Deutschland könnte frühestens im Dezember 2012 erfolgen.
Ausblick
Die angeführten Beispiele zeigen, dass in Europa auch unter geänderten Rahmenbedingungen weiter erfolgreich Hafer gezüchtet werden kann. Voraussetzung dafür sind neue, innovative Ansätze in der Sortenentwicklung, der Erhalt und der Ausbau der vorhandenen genetischen Vielfalt sowie der Wille aller Beteiligten in der Wertschöpfungskette, die Züchtung neuer Hafersorten gemeinsam weiter voranzubringen.
Dr. Steffen Beuch