Die Bewertung des Energiegehaltes, einem der wichtigsten Qualitätsmerkmale, erfolgt in der Regel durch Futtermittellabors. Diese bedienen sich aus Zeit- und Kostengründen validierter Methoden, die aus einfach zu bestimmenden Merkmalen des Futterwertes über Schätzgleichungen den Energiegehalt berechnen. Zugrunde liegt meist die Beziehung zwischen dem steigenden Gehalt an Faserstoffen und der sinkenden Gesamtverdaulichkeit des Futters. Der Fasergehalt nimmt mit fortschreitendem Vegetationsstadium zu. Für die aus der ganzen Maispflanze hergestellte Maissilage ist dieser Zusammenhang nicht so eindeutig, weil zum Ende der Vegetation die Stärkeeinlagerung in die reifenden Maiskörner die Verdaulichkeitsminderung der restlichen Maispflanze überlagert.
Warum wurden neue Schätzgleichungen notwendig?
1. Die bis dato gültigen Schätzmethoden für Gras- und Maisernteprodukte sowie Getreideganzpflanzensilagen wurden 1998 veröffentlicht und nutzten in Deutschland in den 80er und 90er Jahren durchgeführte Verdauungsversuche. Durch den Zuchtfortschritt unterscheidet sich die Zusammensetzung und Verdaulichkeit der heutigen Futterpflanzen teilweise extrem von den früheren. So gibt es Silomaissorten mit einem höheren Kolbenanteil, Massetypen, Stay-green-Typen oder Typen mit einer veränderten Restpflanzenverdaulichkeit. Auch wird heutzutage oft nicht mehr die ganze Maispflanze geerntet. Das führt dazu, dass sich die Beziehungen zwischen Gesamtverdaulichkeit des Futters und dem Gehalt an bestimmten Nährstoffen ändern.
2. Veraltete Grasnarben haben bei gleichem Gehalt an Faserstoffen eine deutlich schlechtere Verdaulichkeit als Neuansaaten. Bisherige Schätzgleichungen bewerten diese Bestände zu gut. Demgegenüber werden moderne Ansaatmischungen und die besser verdaulichen Erstaufwüchse von Gräsern zu schlecht bewertet.
3. Bereits seit den 1960er Jahren gibt es In-vitro-Methoden (in vitro = im Laborglas), die die Verdauung gut nachbilden. Sie liefern somit eine genauere Vorhersage des Energiegehaltes.
4. Schon lange gab es Zweifel an der Eignung der Rohfaser zur Bewertung des Zellwandanteiles. Mit der neutral-detergent-fibre (NDF) und der acid-detergent-fibre (ADF) von van Soest gibt es schon seit den 1960er Jahren eine erweiterte Faseranalytik. Nachdem im deutschsprachigen Raum Europas mehrjährige praktische Erfahrungen in der Anwendung von ADF vorliegen, konnten diese jetzt in die deutsche Futterbewertung einbezogen werden.
Für das Erntejahr 2008 wurde die Berechnung des Energiegehaltes von Gras- und Maissilagen, von Heu und Frischgras, Grünmais sowie stärkereichen Ernteprodukten der Maispflanze einheitlich auf neue Kennzahlen des Fasergehaltes (ADFom, NDFom) und vollständig auf die Nutzung der In-vitro-Verdaulichkeit umgestellt. Die Genauigkeit der neuen Schätzgleichungen hat sich deutlich verbessert, sie sind robust und vertrauenswürdig. Die Nutzung von nur zwei alternativen Schätzgleichungen für alle Grasprodukte und alle Aufwüchse vereinfacht deren Anwendung.
Die Gewichtung der beiden alternativ nutzbaren In-vitro-Kennzahlen, der Gasbildung (Hohenheimer Futtertest HFT) bzw. der Enzymlöslichkeit der organischen Substanz (ELOS) ist hoch. Durch sie werden in den neuen Berechnungsformeln zwischen 30 und über 50 % des Energiegehaltes variiert. Ein großer Vorteil speziell der für Maisernteprodukte abgeleiteten Berechnungsformel ist der weite Gültigkeitsbereich. So kann von der kolbenlosen Maisrestpflanze bis hin zu den stärke- und energiereichen Maiskolbenprodukten der Energiegehalt mit hoher Genauigkeit berechnet werden.
Erfahrungen aus drei Jahren
Die seit 2008 in der Praxis gemachten Erfahrungen sind durchaus nicht einheitlich. Unterschiede in der Verdaulichkeit bei gleichen Nährstoffgehalten können besser erfasst werden: z.B. wird jung geerntetes Gras von erneuertem Grünland oder vom Feldgras tendenziell besser bewertet.
Zweifel kommen aber dann auf, wenn die Erwartungshaltung des Landwirtes nicht erfüllt wird: Z.B., wenn ein niedrigerer als der erwartete Energiegehalt der Gras- oder Maissilage berechnet wurde oder aber vermeintlich zu hohe Werte vorliegen.
Den neuen Schätzformeln liegt ein sehr großer Datenpool zugrunde. Die Möglichkeit, dass die neu abgeleiteten Schätzgleichungen mit gravierenden Fehlern behaftet sind, erscheint gering, wenn auch nicht ganz auszuschließen. Daher wurde vereinbart, in regelmäßigen, nicht zu langen Zeitabständen, anhand neuerer Versuche und Analysen und unter Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen, die neuen Schätzgleichungen zu verifizieren.
Unter Umständen sind aber faserreiche Grasernteprodukte in der Vergangenheit teilweise deutlich überbewertet worden. Dann fällt es schwer, die neuen Ergebnisse zu akzeptieren. Vielleicht liegt aber auch ein Laborfehler vor, denn die wichtigsten chemischen Analysenparameter sind neu in der Routine der Futtermittellabore.
Gefahr von Laborfehlern besteht (noch)
Gerade eine unzutreffende Bestimmung der Gasbildung oder von ELOS führt wegen der hohen Wichtung dieser Kennzahlen in der Berechnungsformel zu relativ großen Fehlern in der Energieberechnung.
Eine direkte Vergleichsmöglichkeit zwischen verschiedenen Labors gibt es nur, wenn dieselben Proben untersucht werden. Ein Unterschied zwischen der Arbeit zweier oder mehrerer Labors kann zudem erst konstatiert werden, wenn die Daten mindestens einer Saison miteinander verglichen werden. Um mögliche Fehlerquellen besser ausschließen zu können, sind Vergleichsuntersuchungen, verstärkte eigene Qualitätskontrollen und Plausibilitätsprüfungen notwendig.
Auf welche Weise auch immer: Die Betreiber von Futtermittellabors sollten aufeinander zugehen, um auf der Grundlage der vereinbarten Analysemethoden und -vorschriften im eigenen, aber auch im Interesse des Landwirtes die Analyse- und Berechnungsroutinen abzugleichen.
Klarer Vorteil für die Praxis
Die neuen Schätzformeln für Gras und Mais sind auf einer breiten Datenbasis in Deutschland und Österreich abgeleitet, deshalb robust und wegen der Nutzung der In-vitro-Verdaulichkeit genauer in der Aussage. Die Nutzung von nur zwei alternativen Schätzgleichungen für alle Grasprodukte und alle Aufwüchse vereinfacht deren Anwendung.
Insbesondere die Grassilagen werden jetzt energetisch deutlich differenzierter bewertet. Grünlandaufwüchse mit hochwertigen Futtergräsern werden auf-, Altnarben und Extensivgräser mit gleichen Fasergehalten dagegen abgewertet. Maissilagen werden im Mittel fast gleich bewertet wie mit der alten Schätzformel anhand des Rohfasergehaltes. Die Einbeziehung der In-vitro-Verdaulichkeit kann aber entsprechend der Restpflanzenverdaulichkeit den Energiewert deutlicher differenzieren und damit das Potenzial konkreter Maissilagen besser zum Ausdruck bringen.
Dr. Bernd Losand