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Braugerste ist wieder gefragt

Das Wetter stellte die diesjährige Braugerste vor besondere Herausforderungen. Zumindest in Nordeuropa war es die längste und schwierigste Ernte der letzten 10 Jahre. Die Situation in den wichtigsten Erzeugerländern könnte insgesamt aber kaum unterschiedlicher sein. Michael Fleischer, Braugerstenspezialist bei Grainexx Getreidehandels GmbH Hamburg, berichtet über Stand und Tendenzen auf dem europäischen Braugerstenmarkt sowie auf dem Weltmarkt.

Michael Fleischer
Michael Fleischer
Zunächst machte die Frühjahrstrockenheit im April und Mai besonders der Sommerbraugerste stark zu schaffen. Dies galt mit Ausnahme der skandinavischen Länder ausnahmslos für alle Hauptanbaugebiete. Die Winterbraugerste dagegen kam meist mit den niederschlagsarmen Bedingungen bei hohen Temperaturen besser zurecht. Doch als die Niederschläge in mehr als ausreichender Menge und Anzahl kamen, nämlich während des Ernteverlaufs, wurden sie nicht mehr gebraucht. Dies trifft insbesondere auf Dänemark und Schweden zu – also genau auf die Länder, auf die sich sämtliche Hoffnungen der Mälzerei- und Brauindustrie stützten! Somit kann die Ernte 2011 als eine der längsten und vielleicht auch eine der schwierigsten in den letzten 10 Jahren bezeichnet werden.

Unterschiedlichste Mengen und Qualitäten

MATIF Braugerste
MATIF Braugerste

Die Situation in den wichtigsten Erzeugerländern stellt sich aber sehr unterschiedlich dar:

In Frankreich konnte eine gute Wintergerstenernte eingefahren werden. Durch eine leicht rückläufige Anbaufläche und geringere Hektarerträge ging allerdings auch dort das Ernteaufkommen um circa 15 % zurück. Die Qualitäten entsprechen den Vorgaben der Malzindustrie und liegen auch im Eiweißbereich unter 11,5 %. Anders sieht es bei der Sommergerste aus. Hier wurden die letzten 5-Jahres-Durchschnittswerte deutlich verfehlt, gleichzeitig entsprechen maximal 50 % den geforderten Eiweißwerten, während weitere 25 % bis 12,5 % Eiweiß und der Rest sogar teilweise deutlich über 13 % liegt.

Ähnlich stellt sich die Situation im Südwesten Deutschlands dar. Damit gilt insbesondere für die Malzindustrie dort eine schwierige Versorgungslage. Jetzt ist die Kompromissbereitschaft der Wertschöpfungskette gefragt. Nur wenn Brauer und Mälzer sich in ihren strikten Spezifikationen flexibler zeigen, ist eine ausreichende Versorgung an Braugerste für das Wirtschaftsjahr 2011/2012 gewährleistet. Gespräche zu dieser Thematik laufen, gestalten sich allerdings als äußerst schwierig.

In Bayern und Niedersachsen konnten jedoch gute Qualitäten geerntet werden. Diese Regionen sind eigentlich Defizitgebiete. Weil preislich attraktiv, fließt von dort nun Ware in andere Regionen ab, die mit einer problematischeren Versorgungslage zu kämpfen haben.

Im Vereinigten Königreich zeigen sich die Ernteergebnisse ebenfalls sehr heterogen. Auch dort ist teilweise von deutlich überhöhten Eiweißwerten die Rede. Die dortige Malzindustrie hat bereits jetzt Importbedarf aus anderen Ländern signalisiert.

In Skandinavien wurden teilweise Rekorderträge pro Hektar erreicht. Die Ware überzeugt ebenfalls durch niedrige Eiweiß- und hohe Vollgerstenwerte. Allerdings waren die Erntebedingungen alles andere als ideal. Längere Unterbrechungen mit zum Teil immensen Niederschlägen führten zu offenem bzw. verdecktem Auswuchs und können die Keimenergie teilweise empfindlich schädigen. Eventuell fällt ein Teil der Ernte im weiteren Verlauf der Kampagne damit als Braugerste aus.

Aus Russland wird von einem Importbedarf der dortigen Malzindustrie berichtet, da auch dort Partien mehrheitlich mit um 13 % Eiweiß geerntet wurden.

Äußerst knappe Versorgung
Alles in allem zeigt sich daher eine äußerst knappe Versorgung mit sehr niedrigen Endbeständen zum 30.6.2012. Man geht in der EU von einem Überschuss von 100.000 Tonnen Winterbraugerste und 100.000 Tonnen Sommerbraugerste aus. Gleichzeitig bestehen aus der EU-27 wie immer Verpflichtungen zum Export in Richtung Drittländer. China fragt unverändert an – dabei ist zu beachten, dass die Chinesen reine „Preiskäufer“ sind. Daher wird der chinesische Bedarf wahrscheinlich mit 6-zeiliger Winterbraugerste erfüllt werden können.

Prämie Braugerste zu Weizen: 65 Euro/Tonne
Aufgrund dieser Situation hielten sich die Braugerstenpreise, entgegen der allgemeinen Tendenz, an den Aktienbörsen bzw. auch den Getreideleitbörsen in Chicago und Paris auf einem unverändert hohen Niveau.
Die Prämie von Braugerste gegenüber Weizen beträgt zurzeit circa 65 Euro/Tonne. Dies spiegelt die angespannte Situation am Markt wider, die sich auch bis zum Ende der Kampagne nicht großartig verändern dürfte.
Ebenfalls könnte die Situation am Weltmarkt angespannt bleiben. China ist Braugerstenimportland mit einem Importbedarf von mehr als 2 Mio. Tonnen. Seine Hoffnungen ruhen nun mehrheitlich auf einer guten Ernte in Australien. Zurzeit sieht die Situation dort ideal aus, allerdings zeigte die Vergangenheit immer wieder Überraschungen bis zum eigentlichen Erntebeginn Ende des Jahres.
Aus Argentinien wird mit einem hohen Exportüberschuss gerechnet. Daher geht man davon aus, dass circa 200.000 Tonnen argentinische Ware auch in die EU kommen können.

Braugerste bleibt preislich interessant
Diese Aussichten begrenzen im Augenblick den Preisanstieg nach oben. Für die Anbauplanungen der Landwirtschaft ist nun einerseits interessant, wie sich die Vermarktung von qualitativ problematischen Partien aus der diesjährigen Ernte entwickelt. Des Weiteren wird die preisliche Gestaltung für die Ernte 2012 wichtig werden. Zurzeit wird die neue Ernte mit einem Preisabschlag von circa 30 Euro/Tonne gegenüber dem aktuellen Preisniveau gehandelt. Dies ermöglicht immer noch Erzeugerpreise von über 200 Euro/Tonne, frei Erfassungslager. Daher bleibt Braugerste weiterhin eine für den Landwirt interessante Frucht, auch wenn mit den größeren klimatischen Extremen die Sorgen und Probleme beim Anbau gewichtig sind.

Der Anbau von Winter- und Sommerbraugerste sollte sich vor allem in der kommenden Kampagne lohnen, weil aus oben genannten Gründen eine äußerst knappe Anschlussversorgung gewährleistet ist. Der Bedarf der Mälzereien aus der Ernte 2012 kann eigentlich nur steigen.

Abzuwarten bleibt, wie sich die derzeitigen wirtschaftlichen Unsicherheiten auf das Konsumverhalten, insbesondere in den Bierwachstumsmärkten der Schwellenländer (Südamerika, Indien, China und Asien allgemein), auswirken. In Europa haben wir seit einiger Zeit mit einer bestenfalls stagnierenden, wenn nicht sogar stark rückläufiger Bierproduktion zu kämpfen – auch witterungsbedingt. Der Markt muss also sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite in den nächsten Monaten sorgfältig beobachtet werden.

Michael Fleischer

Stand: 13.10.2011