Die aktuell geltende Qualitätseinstufung bei Weizen steht wieder einmal in der Diskussion. Eine ganze Reihe von Sorten erreichen bereits bei geringeren Proteingehalten eine sehr gute Backqualität, z.B. Tobak. Welche Qualitätseigenschaften sind für Erfasser und Mühlen entscheidend?
„Schon während der Annahme wird das Rohgetreide sensorisch beurteilt: Wie sieht es aus, wie riecht es, enthält es Fremdbesatz? Anschließend werden im Labor die „inneren Werte“ wie Fallzahl, Proteingehalt, Sedimentationswert und natürlich auch das Backvolumen festgestellt.“
Bei einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Forschungsprojekt, an dem auch die Kampffmeyer Mühlen beteiligt sind, werden 10 Weizensorten mit unterschiedlichen Untersuchungsmethoden auf ihre Proteinqualität untersucht. Gibt es schon Ergebnisse?
„Ein sehr interessantes Zwischenergebnis ist, dass es Parameter gibt, die besser mit dem Backergebnis korrelieren als Proteingehalt und Sedimentationswert. Schaut man sich zum Beispiel die in einem speziellen Detergens1 (Sodium-Dodecyl-Sulfat) löslichen Proteinfraktionen genauer an, ergibt sich eine sehr hohe Vorhersagekraft für das Backvolumen. Diese werden allerdings bisher nicht routinemäßig im Labor untersucht.“
Proteinarme Qualitätsweizen ermöglichen eine besonders energiearme und damit umweltfreundliche Produktion. Außerdem sind sie deutlich ertragreicher. Kann der Landwirt diese Sorten auch als Qualitätsweizen vermarkten?
„Noch wird man Schwierigkeiten haben, solche Sorten als Qualitätsweizen zu vermarkten. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass in Zukunft gerade solche Sorten, die unter besonders günstigen Umweltbedingungen angebaut werden können, von Vorteil sind. Besonders wenn man an das Stichwort „Kohlendioxid-Fußabdruck“ denkt, der bei diesen Sorten wahrscheinlich sehr niedrig sein wird.“
Wie kommt es, dass bei Eliteweizen wie Genius, die vor allem in Ost-Deutschland angebaut werden, 14 % Protein und mehr gefordert werden. Gilt das bisher Gesagte nicht?
„Doch das bisher Gesagte gilt natürlich auch.Diese E-Weizen mit dem hohen Proteingehalt werden immer wieder als Aufmischweizen für besondere Mehlqualitäten benötigt, um die hohen Qualitätsanforderungen unserer Kunden sicherzustellen.“
Mit neuen Sorten wie Tobak können bei geringerem Stickstoffangebot gute Backeigenschaften erreicht werden. Die Anforderungen des Handels zielen aber auf hohe Mindestanforderungen beim Proteingehalt ab. Wie sehen Sie das aus wirtschaftlicher Sicht? Ist die Bezahlung nach Proteingehalt noch zeitgemäß?
„Aus unserer Sicht ist die Bezahlung nach Proteingehalt nicht mehr zeitgemäß. Allerdings haben wir zum jetzigen Zeitpunkt keine besseren Kriterien, um diesen Parameter ablösen zu können. Die hohen Mindestanforderungen des Erfassungshandels in Bezug auf den Proteingehalt spiegeln ja auch nur den Wunsch der Bäcker nach proteinstarken Mehlen wider.
Voraussetzungen für den gezielten müllerischen Einsatz proteinarmer Qualitätsweizen wie z. B. Tobak wären eine sortenreine Anlieferung und Lagerung durch Handel und Mühle. Wir können uns durchaus vorstellen, diesen interessanten Ansatz für die Ernte 2012 in ausgewählten Standorten zu realisieren und bei der monetären Bewertung stärker auf das Leistungsvermögen der Sorten als auf deren Proteingehalt zu achten."
Dann müsste das geltende Modell doch den neuen Erkenntnissen angepasst werden. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für eine Änderung?
„Ja, das Bewertungssystem muss angepasst werden. Aber dies kann natürlich nicht von heute auf morgen passieren. Dazu müssen die alternativen Untersuchungsmethoden weiter optimiert werden. Das Wichtigste ist ein Umdenken der gesamten Wertschöpfungskette vom Handel bis zum Verarbeiter – weg von der Proteinmenge hin zur Proteinqualität. Ein nicht ganz einfacher Weg, der sich am Ende aber für alle lohnen wird.“
Vielen Dank für dieses Gespräch. Das Gespräch führte Renate Wegert.