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„Biomasse statt Biokäse“

Die Nahrungsmittelerzeugung lässt in Deutschland viel Raum übrig, der entweder verwildert oder anderweitig genutzt werden kann. Der Anbau von Energiespendern für die Technik soll geopolitisch unabhängiger machen.

Bildquelle: agrar-portal
Bildquelle: agrar-portal
Das Ziel, statt mit importierten Erdölprodukten künftig mit heimischen Pflanzen Autos anzutreiben, Häuser zu heizen und Chemiegrundstoffe zu gewinnen, verfolgen die westlichen Regierungen derzeit auf vielen Wegen. Umweltpolitiker sehen die Bioenergie als Mittel an, um den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxyd zu verringern und einer Klimaveränderung entgegenzuwirken. Sicherheitsfachleute, wie der frühere CIA-Chef Woolsey werben für Bioenergie als Mittel der Terrorismusbekämpfung, weil sie es erlaube, die amerikanische Militärpräsenz in islamischen Förderregionen zu verringern und den Geldfluss in die Heimatländer von Terroristen zu mindern.

Wirtschaftspolitiker sehen Bioenergie als Rettung vor dem ruinösen Wettlauf zwischen Amerika, China, Indien und Europa um knappe Rohstoffe an. Für Regierungschefs liegt der Reiz in größerer Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit, etwa von Russland. Biomasse als Energiequelle hat den Vorteil, dass ihre Erzeugnisse leicht in die vorhandene Infrastruktur von Pipelines, Stromnetzen und Tankstellen eingespeist werden können. Die technologische Reifung schreitet im Gegensatz zur Solarenergie und zur Windenergie rasch voran. Längst handelt es sich nicht mehr nur um eine grüne Zukunftsvision. In Deutschland werden bereits zehn Prozent der Ackerfläche genutzt, um Raps und andere Pflanzen anzubauen, die als Biodiesel oder Bioethanol den Weg über die Tankstellen nehmen. An petrochemischen Standorten besonders in Ostdeutschland sind große Bioraffinerien entstanden, die Pflanzen in Treibstoffe verwandeln. Von 2007 an wird eine Beimischung von fünf Prozent Biotreibstoff zu Diesel und Benzin vorgeschrieben sein. In Amerika gehen reihenweise Bioraffinerien in Betrieb, und in Brasilien werden die meisten Neuwagen mit Bioethanol angetrieben.

Pflanzenenergie gibt dem ländlichen Raum geopolitische Bedeutung – von Christian Schwägerl
Pflanzenenergie gibt dem ländlichen Raum geopolitische Bedeutung – von Christian Schwägerl
Viel zu wenig wurde bisher aber der eigentliche Ort des Geschehens beachtet. Geht die Entwicklung so weiter, steht in Deutschland das Land, das Planer „ländlichen Raum“ nennen, vor grundlegenden Veränderungen:

Land bekommt seine frühere existenzielle Bedeutung zurück und wird wieder zur geopolitischen Ressource. Mit dem Ruf nach Bioenergie wird es möglich, dem Land seine Bedeutung zurückzugeben und seine Bewohner davon zu befreien, auf subventionierte Einkommen angewiesen zu sein. Wenn die zu Energiewirten verwandelten Bauern für Mobilität, Heizwärme und Chemiegrundstoffe der Gesellschaft mitverantwortlich sind, wird nicht mehr nur von den städtischen Wissenschaftszentren, sondern auch von Bauernhöfen, Kleinkraftwerken und Bioraffinerien auf dem Lande eine Nachfrage nach Arbeitern und qualifizierten Fachkräften wie Bioingenieuren, Betriebswirten und Anlagentechnikern ausgehen. Es besteht die Aussicht auf eine wirtschaftliche Wiederbelebung des Lands. Der Gesellschaft muss aber bewusst sein, wie sehr sich dabei die Landschaft verändern kann, weg von Nahrungserzeugung und Naherholung, hin zur harten Ressourcenextraktion.

Eine Umstellung hat ihren Preis. Deutschland verbraucht jährlich rund 110 Millionen Tonnen Erdöl und Kohle in ähnlicher Größenordnung. Ein Zehntel der Ackerfläche reicht lediglich dazu aus, einige Prozent des Dieselverbrauchs zu sättigen.

Will man einen nennenswerten Anteil des Gesamtverbrauchs ersetzen, sind neue Kulturpflanzen, besonders ertragreiche Sorten und eine intensive Flächenbewirtschaftung nötig. Die andere Möglichkeit im Vergleich zur innereuropäischen Erzeugung bestünde darin, Palm- und Sojaöl aus Südamerika und Südostasien einzuführen, doch hieße dies, wie nun auf einer Umwelttagung in Bonn deutlich wurde, zur Zerstörung dortiger Wälder beizutragen und neue Abhängigkeiten einzugehen. Verschärfen sich die globalen Krisen, steigt der bioindustrielle Flächenbedarf. Die bukolischen Visionen einer Landschaft, der die Ökobauern das Gepräge geben, die den Städtern Ziegenkäse und Lammbraten auftischen, lösen sich dann vielleicht vollends auf. Am Ende könnte paradoxerweise ausgerechnet die ertragssteigernde Wirkung der Pflanzengentechnik es erlauben, dass aus Not nicht auch die Biosphärenreservate in den Dienst der Energiewirtschaft geraten.

Das klingt heute hart. Doch will man Ernst machen mit der Bioenergie, so ist ein neues Bild vom Land nötig – nicht nur in grünen Kreisen.
 

Stand: 01.01.2007