Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Eine unendliche Geschichte

Sorte und Technik begegnen sich auf Schritt und Tritt, am nähesten jedoch bei der Ernte. Wurden vor 100 Jahren noch 100 Arbeitsstunden je Hektar für die Getreideernte aufgewendet, so ist es heute weniger als eine - bei dreimal höherer Ertragsleistung! Doch jetzt kommt der Fortschritt ins Stocken. Immer größere Ernten, breitere Mähtische und engere Fruchtfolgen erfordern neue Lösungen in der Erntetechnologie!

200 Jahre Zuchtfortschritt - Bildquelle: SAATEN-UNION
200 Jahre Zuchtfortschritt - Bildquelle: SAATEN-UNION
Die Probleme haben sich verlagert!
Die Wildformen unserer modernen Sorten mussten noch selbst für Ihre Ernte und Aussaat sorgen. Geradezu ein „Technikwunder“ ist beispielsweise Flughafer, der direkte Vorfahre aller modernen Hafersorten: Das Korn löst sich zeitgestaffelt selbst von der Rispe, kann sich durch sprunghftes „Aufdrehen“ der gekrümmten Granne ein ganzes Stück ausbreiten und schließlich sogar sich selbst „drillen“. Dazu dienen die steifen Widerborsten und die spindelförmige Kornform, die zusammen mit natürlichen Bodenbewegungen das Eindringen in den Boden ermöglichen. Durch die gezielte züchterische Bearbeitung hat das Getreidekorn diese Mechanismen verloren.

Mit Einführung des vollmechanisierten Mähdrusches vor 50 Jahren war die Züchtung gefordert, in kürzester Zeit mähdruschfähige Sorten bereitzustellen. Weil die volle Ausreife von der Garbe auf den Halm verlagert wurde, verschob sich der Erntetermin von der Gelb- bis zur Totreife. Damit stiegen die Ansprüche an die Strohstabilität und den Kornsitz nochmals drastisch an. Die Mähdruschfähigkeit wurde in den 60er Jahren zum bestimmenden Zuchtziel. Heute sind alle aktuellen Weizensorten gut bis sehr gut mähdruschfähig und auch die Standfestigkeit ist trotz gesteigerter Stickstoffdüngung produktionstechnisch bei allen Sorten hinzukriegen. Als pflanzenbauliches Problem wird dagegen zunehmend die Strohmenge diskutiert. Vor allem Raps als frühgesäte Feinsämerei sowie Mulchsaaten leiden bei ungleichmäßiger Verteilung und Verrottung der Ernterückstände.

Abb. 1: Harvestindizes ausgewählter Weizensorten
Abb. 1: Harvestindizes ausgewählter Weizensorten
Der Ernteindex (Harvestindex) dokumentiert den Zuchtfortschritt
Abb. 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung der Korn- und Stroherträge am Beispiel aktueller und älterer Weizensorten. Je weiter rechts eine Sorte steht, umso höher der Kornertrag, je weiter oben, umso geringer der Strohertrag. Aus dem Verhältnis von Korn- zu Strohertrag lässt sich der Ernteindex grob in fünf Klassen unterscheiden. Die gelbunterlegten Sorten besitzen sehr hohe Ernteindizes. Hierzu gehören beispielsweise die marktführende A-Sorte Tommi, dünngesäte Weizenhybriden (HYBRED) oder auch die beiden mittelkurzen Hochertragssorten MULAN (B) und TORRILD (A).

Die meisten Sorten finden sich im „grünen Bereich“, der hohe Ernteindizes markiert. Gerade hier wird sehr deutlich, dass das Strohaufkommen nicht unabhängig von der Ertragsleistung diskutiert werden darf: So ist beispielsweise die A-Sorte AKRATOS aufgrund der weniger hohen Bestandesdichte strohärmer als die gleichlangen, älteren Sorten BATIS und PEGASSOS aus dem gleichen Zuchtprogramm. Gleichzeitig ist die Ertragsleistung um ein bis zwei Klassen gesteigert worden. Beides zusammen führt zu einem höheren Harvestindex, also weniger Stroh bezogen auf den Ertrag!

Der blaue Sortenbereich steht für einen mittelhohen Ernteindex, hier finden sich beinahe alle großen A- und B-Weizensorten der jüngeren Vergangenheit. Der orange und rote Farbbereich steht für geringe bzw. sehr geringe Ernteindizes. Hier ist Caribo einzuordnen, die führende B-Sorte der 70er Jahre, ältere Eliteweizen und jüngere „Ökosorten“.

Flughafer ist ein wahres
Flughafer ist ein wahres
Züchtung allein kann das Strohproblem nicht lösen
Moderne Weizensorten besitzen also im historischen Vergleich bereits mehrheitlich ein sehr günstiges Korn/Stroh-Verhältnis, die Züchter haben ihre „Hausaufgaben“ gemacht. Einer weiteren extremen Verkürzung der Weizenpflanzen sind ertragsphysiologische Grenzen gesetzt. Zwergpflanzen verlieren an Wurzelleistung, Assimilationsfläche und Umlagerungskapazität – die Ertragssicherheit geht zurück.

Zur Herausforderung wird das Strohaufkommen also nicht wegen zu strohreicher Sorten, sondern in der Verknüpfung des immer größeren allgemeinen Ertragsniveaus sehr hoher Erträgen in Verbindung mit immer breiteren MD-Schneidwerken. Über 6m Arbeitsbreite wird es zunehmend schwieriger, bei hohen Erträgen das zugehörige Stroh ganzflächig und feingehäckselt zu verteilen. Strohmatten und „Streifenkrankheiten“ sind damit vorprogrammiert. Hier sind verfahrenstechnische Lösungen gefragt, wie etwa Hochschnitt in Verbindung mit einem gesonderten Arbeitsgang für das Strohhäckseln.

Abb. 2: Die Abhängigkeit zwischen Fruchtfolge, Strohmenge und Rottezeiten
Abb. 2: Die Abhängigkeit zwischen Fruchtfolge, Strohmenge und Rottezeiten
Auch erleichtern weitere Fruchtfolgen das Strohmanagement: So fallen in der Fruchtfolge Wi-Raps/Wi-Weizen/Wi-Gerste ca. 220 dt Stroh an, die Zeit für die Strohrotte zwischen den Saatterminen beträgt insgesamt lediglich 4 Monate (Claas 2004). Durch die Eingliederung von Sommerungen und Blattfrüchten verringert sich das Strohaufkommen, zudem bleibt dem Stroh mehrere Monate mehr Zeit zur Verrottung (Abb. 2).

Spitzensorten lohnen Spitzentechnik!
Das beginnt bei der gleichmäßigen Verteilung von 150 Kö/m2 Hybridsaatgut und endet mit der Zerkleinerung, Verteilung und Einarbeitung von 10 t Stroh zwei Wochen vor der Rapsaussaat. Die Geschichte von Sorte und Technik ist eine unendliche und spannende: Muss sich die Züchtung den Fortschritten in der Landtechnik anpassen oder umgekehrt? So gibt es über das zukünftige Zusammenspiel zwischen Sorte und Technik einerseits viel Übereinstimmung bei den Getreidezüchtern, in grundsätzlichen Fragen jedoch auch unterschiedliche Standpunkte. Zwei erfolgreiche Weizenzüchter äußern sich hierzu in der praxisnah: Dr. Ralf Schachschneider erklärt die kontinuierliche Anpassung der Sorten an die praxisübliche Anbautechnik zum zentralen Zuchtziel. Dr. Andreas Spanakakis hingegen erteilt extrem techniklastigen Ansprüchen an die Züchtung eine Absage. Er begründet das mit übergeordneten Anbauzielen, denen sich die Anbautechnologie unterzuordnen habe!

Erfolgreiche Pflanzenbauer können die unterschiedliche Ausrichtung der Zuchtprogramme nutzen. Wie auch Landwirt Dietrich Jänicke, der über eine intelligente Reifesteuerung seinen Ernteprozess optimiert.

Sven Böse

Stand: 01.04.2006