Klimatische Anpassungsfähigkeit
Die zunehmende Häufigkeit extremer Wettersituationen und deren schneller Wechsel ist die für die Züchtung relevante Klimaveränderung. Milde Winter zum Beispiel bestehen oft aus einer wechselnden Folge „zu warmer“ und „zu kalter“ Abschnitte. Damit bedeuten sie extremen Stress für die Pflanze und verlangen eine „komplexe“ Winterhärte.
Die Niederschlagsverteilung wird sich durch (kurze) Phasen des Überangebotes und Phasen des Wassermangels auszeichnen. Besonders die gefürchtete Vorsommertrockenheit kann erhebliche Ertragsdepressionen nach sich ziehen. Die täglichen Temperaturverläufe werden die physiologische Leistungsfähigkeit und die Energiebilanz der Pflanzen beeinträchtigen. Bei starker Sonneneinstrahlung und Tageshöchstwerten von über 28 °C wird die Leistung der Photosynthese reduziert. Bei hohen Nachttemperaturen steigen die Atmungsverluste an.
Mit der Entwicklung von Hybridsorten hat man züchterisch die Möglichkeit, die Toleranz der Pflanzen maßgeblich zu erweitern. Der Heterosiseffekt zeigt sich vor allem in höherer physiologischer Aktivität, Wüchsigkeit, höheren Wurzelleistung und somit in der Ertragsstabilität unter Stressbedingungen. Aber auch bei der Züchtung stresstoleranter Liniensorten gibt es erste Fortschritte, die auf den entwickelten Genpools und dem europaweiten Prüfnetz basieren. Der „Europaweizen“ MULAN etwa durchlief in mehr als 10 europäischen Ländern die offiziellen Prüfungen mit Spitzenpositionen und begründet damit eine neue Sortenklasse mit hoher klimatischer Anpassungsfähigkeit (Abb. 2).
Anbau verschleißt Pilzresistenzen
Der wachsende Anteil nicht wendender Bodenbearbeitung sowie der seit Jahren beobachtete Trend zu immer früheren Saatterminen und engeren Fruchtfolgen begünstigen Ungräser und Pilzkrankheiten, unterschiedliche Viruserkrankungen und Schäden durch freilebende Nematoden. Durch die Züchtung wurden bereits außerordentliche Fortschritte bei Pilzresistenzen erreicht, vor allem bei Ährenfusarium, Blattseptoria, DTR und teilweise bei Fußkrankheiten. So verbindet die Sorte TUAREG sehr hohen Ertrag mit Backqualität und guter Septoriatoleranz. Die neue Sorte JENGA besitzt darüber hinaus die beste Kombination von Resistenz gegen Ährenfusarium, Blattseptoria und DTR.
Bei Viruserkrankungen kann bisher nur bei bodenbürtigen Viren mit züchterischen Veränderungen gegengesteuert werden. Es muss befürchtet werden, dass die Anbaubedingungen den Verschleiß und den Abbau der Pilzresistenzen beschleunigen werden.
Protein oder Stärke?
Die Verwendung des Weizens als „nachwachsender Rohstoff“ und die Verschärfung des vorbeugenden Verbraucherschutzes (geringer Mykotoxingehalt) haben veränderte Ansprüche an die Verwertungs- und Qualitätsparameter zur Folge. Hier kollidieren die Zuchtziele für Backqualität und für nachwachsende Rohstoffe. Dies zeigt sich vor allem beim Rohproteingehalt, der für die Backqualität hoch und für alternative Verwendungen niedrig sein sollte. Über Jahrzehnte hin haben es die Züchter erreicht, die Proteinmenge und/oder die Proteinqualität zu erhöhen. Dabei erreicht die Sorte TOMMI gute Rohproteingehalte, weil die negative (genetische) Korrelation zum Kornertrag gebrochen wurde. Sorten wie JENGA, MULAN, TUAREG und TÜRKIS zeigen auch mit geringeren Proteingehalten gute Backeigenschaften. Zugleich ermöglicht deren relativ erhöhter Stärkegehalt besonders bei reduzierter N-Spätdüngung alternative Verwendungen.
Kann die Weizenzüchtung die wachsenden Anforderungen erfüllen?
Im Interesse der Landwirte sollten Sorten für mehrfache Nutzungsrichtungen entwickelt werden. Solange bei der „Massenware“ Weizen nicht mit einem umfassenden Vertragsanbau zu rechnen ist, ist dies die wirksamste Strategie, um die Chancen bei der Vermarktung zu verbessern.
Um Züchtungserfolge langfristig zu sichern, müssen drei Punkte geklärt sein:
- die Finanzierung und Durchführung notwendiger Forschungsprojekte,
- die Verbesserung und Optimierung „klassischer“ Zuchtmethoden,
- die stabile Finanzierung der praktischen Züchtung durch Lizenzeinnahmen.
- Mit den Forschungsprojekten sind keine kurzfristigen Effekte, sondern der langfristige Vorlauf zu schaffen. Unser Beispiel zeigt, dass diese umfangreich und teilweise extrem langfristig sind.
- Den klassischen Züchtungsmethoden werden wir auch den zukünftigen Züchtungsfortschritt zu verdanken haben. Diese werden jedoch ergänzt durch moderne Verfahren, z. B. die Doppelhaploidentechnik, welche die Sortenentwicklung verkürzen. Molekularbiologische Methoden oder gar Gentechnik werden in überschaubarer Zeit in der Weizenzüchtung nicht nennenswert helfen, die oben genannten Anforderungen zu erfüllen. Besonders wichtig und effizient ist es, die Selektionen an zahlreichen unterschiedlichen Orten durchzuführen, um so die Vielzahl möglicher Umweltsituationen zu „simulieren“.
- Züchtungsfortschritt, die Verbesserung der „Gesamtheit der wertbestimmenden Eigenschaften“ hat einen Preis. Die Rendite beim Landwirt ist außerordentlich hoch. Die „Verantwortungsträger“ – Landwirte und Züchter – müssen gute Lösungen finden, um den zukünftigen Züchtungsfortschritt finanzieren zu können.
In den Jahren des Getreideüberschusses war Ertragsmaximierung in der Öffentlichkeit nahezu verpönt. Seit Jahren sind die weltweiten Getreidereserven rückläufig. Zunehmend mehr Getreide wird als Bioenergie verwertet, die zur Verfügung stehenden Anbauflächen sind jedoch tendenziell rückläufig. Dies hat dazu beigetragen, dass Ertragsmaximierung wieder anerkannt wird.
Dr. Ralf Schachschneider