Was für ein Jahr!
- Im Dezember 2006 noch sah die Fachpresse auf den Titelseiten „Steigende Getreideüberschüsse in der EU“ und „Genug Getreide für Bioethanol“.
- Dann der wärmste Herbst, der wärmste Winter und das wärmste Frühjahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die virusgeschädigten, wurzelkranken Bestände durchlitten eine sechswöchige Frühjahrsdürre.
- Nach den ergiebigen Niederschlägen ab Anfang Mai neue Hoffnung: Die Stimmung in der Landwirtschaft stieg nach dem „Konjunkturbarometer Agrar“ im Juni auf ein Rekordhoch.
- Dann die große Enttäuschung nach der verregneten Ernte in Nord- und Ostdeutschland. Die ausgedünnten und häufig vom Starkregen niedergedrückten Bestände konnten im lichtarmen Juli kein großes Korn ausbilden.
- Im Gleichschritt mit den internationalen Missernte-Meldungen dann eine beispiellose Preisralley ab Mitte Juli: Innerhalb von nur sechs Wochen stiegen die Getreidepreise um bis zu 10 €/dt! Solch eine Preisdynamik hatte es in den behüteten europäischen Getreidemärkten nie zuvor gegeben.
- „Brot und Bier bald unbezahlbar?“, fragte Anfang August die Tagespresse. Teuer waren jedenfalls Spekulationen auf niedrige Rohstoffnotierungen. Das Aktienkapital der Bioenergieunternehmen halbierte sich binnen weniger Monate, die erste Bioethanolanlage wurde stillgelegt, das erste Biodieselwerk demontiert, Investitionen in Biogas zurückgestellt.
- Im September dann das schnelle und wohl auch endgültige Aus für die Flächenstilllegung. Das bedeutet Rohstoffe von 400.000 Hektar zusätzlich für die preisgebeutelten Mäster, Müller und Mälzer zur Ernte 2008. „Frühlingsgefühle“ diagnostiziert jetzt der Ernährungsdienst!
„Wir müssen die Züchtung nicht neu erfinden!“
Die gegenwärtige Hausse für Agrarrohstoffe ist keine Einbahnstraße, spekulative Märkte übertreiben nach oben wie nach unten. Dennoch: Der Preistrend bei Agrarrohstoffen hat gedreht und weist jetzt nach oben. Bis 2025 stehen nach UN-Schätzungen nur noch 0,17 ha Ackerfläche je Mensch zur Verfügung, 30 % weniger als heute. Klimabedingt stagniert das Getreideaufkommen, weltweit übersteigt die Nachfrage seit Jahren das Angebot. Nun werden in Osteuropa und Asien auch noch Milliardensummen in die Veredelung investiert. Noch gewaltiger sind die Kapazitätsausweitungen bei Biotreibstoffen, bis 2015 soll sich der Ausstoß auf 90 Mio. t verdoppeln!
1.700 m2 – für Nahrung, Futter und Energie? Machbar ist das, jedoch nur bei steigenden Erträgen. Mittel- und Nordeuropa gehört zu den Gewinnern des Klimawandels, die Region kann ihre Stellung als Exporteur hochwertiger Agrarrohstoffe weiter ausbauen! Doch was heißt hochwertig?
Anspruchsvolle Märkte brauchen auch zukünftig Braugerste mit guter Lösung, Weizen mit hohem Glutenindex und maßgeschneiderte Fettsäuren aus Raps. Auch die Prozessqualität „Öko“ gewinnt in den entwickelten, „satten“ Märkten rasant an Bedeutung. Für die schnell wachsenden Futtermittel- und Energiemärkte jedoch sind die „Soft Commodities" 1) weitgehend austauschbar, preislich deshalb wie „kommunizierende Röhren“ austariert. Ob aus „gesundem, handelsüblichen“ Getreide am Ende Puddingpulver, Biosprit oder Milchsäure wird, aus Raps Biodiesel oder Speiseöl, entscheiden die Märkte.
Deshalb „Food, Feed, Energy“ als Leitthema der SAATEN-UNION zur AgriTechnica 2007. Wenn wir an den weltweit wachsenden Märkten partizipieren wollen, müssen wir das „Biologische System Pflanze“ effizienter nutzen, noch mehr CO2 als Kohlenhydrat oder Kohlenwasserstoff assimilieren. Dabei müssen sich Pflanzenzüchtung und Pflanzenbau nicht neu erfinden! Klar geht es bei Biotreibstoffen oder Biomethan um möglichst viel Energie vom Hektar – bei Nahrung und Futter allerdings auch.
Energieeffizienz – die neue Erfolgsgröße
Die Zuchtziele für mehr „Food, Feed, Energy“ sind deshalb im Wesentlichen die gleichen:
- Das Ertragspotenzial der Sorten muss weiter steigen. Bei schwachen Preisen war Zuchtfortschritt vor allem in der extensiven Anbaustufe gefragt. Die guten Ackerbaustandorte lohnen bei festeren Preisen nun auch wieder "High Input-Sorten", die eine hohe Anbauintensität effizient in Höchsterträge umsetzen.
- Resistenzen werden noch wichtiger – zukünftig vor allem zur Ertragssicherung. Einem Drittel der PS-Wirkstoffe droht durch die EU-Harmonisierung das Aus, hinzu kommen Resistenzbildungen. Der Krankheits- und Schädlingsdruck steigt mit den zunehmend feuchtwärmeren Wintern enorm an. 2007 beispielsweise war die Braunrostresistenz entscheidend für die Sortenleistung.
- Die Kompensationsfähigkeit ist gefordert! Zukünftige Sorten müssen extreme Witterungssituationen genauso aushalten wie eine wasser- und energiesparende Bodenbearbeitung. Dabei gehören allerdings auch Stressoren wie extreme Saattermine und enge Fruchtfolgen auf den Prüfstand. Nur dann wird aus einer stresstoleranten Sorte ein robuster Pflanzenbestand.
- Mit steigenden Energiepreisen wird mittelfristig die Energieeffizienz eines Anbauverfahrens zur Erfolgsgröße. Dazu braucht es Fruchtarten, die bei geringem Wasserverbrauch mit weniger Stickstoff und Arbeitsgängen zurechtkommen. Roggen, Sommergetreide und Leguminosen werden deshalb weiter züchterisch bearbeitet.
Regional oder international züchten?
38.000 ha Vemehrungsfläche von Getreidesorten der Saaten- Union stehen in Deutschland, über 110.000 ha mittlerweile in Europa – Tendenz stark steigend! Von dieser europäischen Ausrichtung profitieren auch die deutschen Landwirte.
Die Klimaschwankungen zwischen den Jahren sind heute größer als die Klimaunterschiede zwischen den Regionen – Zuchtprogramme für spezielle Regionen verlieren an Bedeutung! Wird vom Winterweizen MULAN Basissaatgut in 13 europäische Länder ausgeliefert, bedeutet das mehr Anbausicherheit in Deutschland. Auch die führende Position der SAATEN-UNION bei Braugerste oder Hafer ist der internationalen Ausrichtung der Zuchtprogramme zu verdanken.
Zukunftswerkstatt Züchtung
Die Erträge schwanken, die Erlöse steigen, die Kosten ebenso. In dem Projekt „Zukunftswerkstatt Züchtung“ stimmt die SAATEN-UNION ihre Sortenentwicklung eng mit den Erfordernissen der landwirtschaftlichen Praxis ab. In welche Fruchtarten soll investiert werden? Welche Zuchtziele haben Priorität? Gentechnik ja oder nein? Jeder Besucher der AgriTechnica kann zu diesen Zukunftsfragen Stellung nehmen. Die Ergebnisse werden in Expertengesprächen mit den Zuchtleitern ausgewertet und fließen ein in eine zukünftige Generation praxisnaher Sorten.
Sven Böse
1) Reichlich Nahrung für einen Menschen lässt sich schon auf 200-500 m2 produzieren, auf der restlichen Fläche das Energieäquivalent von 500-1000 l Erdöl – je nach Standortproduktivität.
2) Internationaler Begriff für Agrarrohstoffe als qualitativ standardisierte Handelsware