Wie wurde der Vierländertest durchgeführt?
Aus den SU-Versuchserien 99 - 101 wurde der Standort Senden gewählt, der auch bei der schnellen Abreife 2003 „vernünftige“ TS-Werte, typische Sortenrelationen und einen geringen Versuchsfehler aufwies. Ausgewählt für den Vierländertest wurden daraus vier Sorten, die sich in Voruntersuchungen nach der deutschen NIRS-Kalibration (VDLUFA Qualitätssicherung) deutlich unterschieden (Tab. 1):
ANJOU 219
KNV-Doppelnutzungssorte:
in dieser Untersuchung mit vergleichsweise hohen NDF-Werten bei knapperen Stärke- und höheren Zuckergehalten auf Grund längerer Assimilation (Stay-Green-Typ).
APOSTROF
Leistungsbetonter Silotyp mit stabil mittleren Stärkegehalten und gleichzeitig hoher Zellwandverdaulichkeit. Im KNV-Konzept der SAATEN-UNION deshalb vor allem für maisbetonte Rationen empfohlen.
RAVENNA
KNV-Sorte für grasbetonte Rationen und die Bullenmast empfohlen. Hier ist der stabil hohe Stärkegehalt unverzichtbar, hinzu kommt ein geringer Anteil unverdaulicher ADF bei gleichzeitig exzellenter Verdaulichkeit der NDF.
TANGO
SU-Züchtung für die qualitativ sehr anspruchsvollen Maismärkte in den Beneluxländern. In Holland größte Gewinnersorte nach mehrjähig bester Kombination von Ertragsleistung, Zellwand- und Gesamtverdaulichkeit.
BOOST
Entwickelt für Anbauregionen wie England, in denen vorrangig Reifeunterschiede die Qualität bestimmen. Unter den „südeuropäischen“ Wachstumsbedingungen 2003 in Senden (Westfalen) qualitativ deutlich unterlegen.
Sorten vom Typ APOSTROF und ANJOU 219 werden in Deutschland qualitativ unterschätzt, das legen länderübergreifende Untersuchungen nahe. Kühe kennen keine Ländergrenzen, sie wollen einfach leistungs- und wiederkäuergerecht gefüttert werden. Dazu gehören Informationen auch zur Zellwandverdaulichkeit, mehr unter www.saaten-union.de.
Gab es Unterschiede in der Sortenrangierung?
Vorweg sei angemerkt, dass die Sortennamen lediglich für unterschiedliche Qualitätsproben stehen. Für die Sortenwahl selbst sind die mehrortigen und mehrjährige Mittelwerte der regionalen Versuchsansteller entscheidend.
In Frankreich (Abb. 1a) schätzen Milchviehalter mit „UFL“ -Einheiten den energetischen Milcherzeugungswert. Die Unterschiede zwischen den Sorten sind ähnlich groß wie beim deutschen NEL-System, bei einer Sorte ändert sich jedoch die Rangierung. Während APOSTROF in Deutschland um immerhin 0,2 MJ NEL/kg TM unter der Sorte Ravenna rangiert, liegen beide nach der französischen Qualitätsschätzung gleichauf. Dies ist umso erstaunlicher, als die Stärke- und Zuckergehalte in der Relation eher niedriger als in Deutschland geschätzt werden. Allerdings wird die Verdaulichkeit („ELOST“) in Frankreich höher geschätzt und ebenfalls der DINAG-Wert, die französische Schätzgröße für die Verdaulichkeit der Zellwände 1).
In Holland (Abb. 1b) wiederum fällt die Sorte APOSTROF aufs Mittelfeld zurück, während die Qualitätsmuster der Sorte Anjou 219 hier ihre vergleichsweise besten Werte erreichen. In den „VEM“-Einheiten - der holländischen Energiegröße für laktierende Milchkühe - schiebt sich die Sorte Tango an die Spitze.
In Dänemark (Abb. 1c) scheinen die Sortenunterschiede auf den Kopf gestellt – allerdings nur auf den ersten Blick. Denn skandinavische Länder arbeiten traditionell mit Gersteneinheiten als Energiegröße und bewerten den Milcherzeugungswert danach, wie viel kg Trockenmasse des untersuchten Futtermittels energetisch ein kg Gerste ersetzt. Hier nehmen wiederum die RAVENNA-Proben eindeutig die Spitze ein - noch vor Tango.
1) DINAG = 100 x (Verdaulichkeit - % Stärke - % lösl. Zucker) / (100 - % Stärke - % lösl. Zucker)
Wie sind die Unterschiede zu erklären?
Maßgeblich für die Berechnung der milchrelevanten Nettoenergie ist in allen vier betrachteten Ländern die Verdaulichkeit der Gesamtpflanze. Diese wurde in Deutschland, Frankreich und Dänemark als „Enzymlösbare Organische Substanz“ (ELOST) mittels NIRS geschätzt, als Referenzmethode dient die Zellulasemethode mit einer standardisierten Enzymmischung. Holland schließlich schätzt die In vitro-Verdaulichkeit mit Original Pansensaft („IVDOM“). Beide Verfahren korrelieren nach eigenen Untersuchungen nur zu etwa 65 %, die Reihenfolge der Qualitätsproben kann sich also durchaus ändern. Beide Referenzmethoden sind ihrerseits üblicherweise am Fettansatz ausgewachsener Hammel geeicht, deren Verdauungsphysiologie wiederum kaum vergleichbar ist mit der einer Hochleistungskuh! Wie viel verdauliche Energie letztlich für die Milchbildung zur Verfügung steht, beruht also auf einer Reihe von Rückschlüssen, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich vorgenommen werden können.
Auffällig sind auch die relativ unterschiedlichen Spannbreiten zwischen den Sorten. Liegen in Deutschland 10 % zwischen der besten und schlechtesten Probe, so sind es in Frankreich 9 %, in Dänemark 7% und in Holland gar nur 4 %. Die sehr viel geringeren Differenzen in Holland sind darauf zurückzuführen, dass mit der Verdaulichkeitsbestimmung mit Original-Pansensaft die Stärke weniger stark aufgeschlossen wird als bei der in den anderen Ländern üblichen Zellulasemethode, Unterschiede in der Zellwandverdaulichkeit kommen dort deshalb stärker zum Tragen.
Was bedeutet das für die Sortenwahl?
Auch wenn wenige Stichproben keine allgemeinen Rückschlüsse erlauben, stimmt doch nachdenklich, wie treffend sich die beschriebenen Ergebnisse der Marktrealität zuordnen lassen: Tango, entwickelt für die Beneluxmärkte, erreicht Bestwerte in Holland. Ravenna, gezüchtet für Nordwest-Europa, ragt in Deutschland und Dänemark heraus. APOSTROF schließlich rangiert in der Energieschätzung seines Ursprungslandes Frankreich vorn! Könnte es sein, das Unterschiede in den Rationen die unterschiedlichen Bewertungen der Maissorten erklären? In Frankreich herrschen vielerorts sehr maislastige Rationen vor. Weil Mais im Vergleich zum physiologisch früher gehäckselten Gras eine geringere Zellwandverdaulichkeit besitzt, sind Qualitätsunterschiede der Zellwand in diesen Rationen von entscheidendem Vorteil. Anders in Holland, Dänemark und Deutschland: hier dominieren (bisher!) grasbetonte Rationen, der Stärkegehalt einer Maissorte konnte also gar nicht hoch genug sein. Mit einem Unterschied: holländische Landwirte mit ihren von jeher sehr hohen Milchleistungen achten mehr als ihre Nachbarn auf eine hohe Zellwandverdaulichkeit!
Offene Fragen
Wenig offene Fragen gibt es bei Sorten mit gleichzeitig hohem Stärkegehalt und Zellwandverdaulichkeit, alle Proben der Sorten Ravenna und Tango lagen in allen Ländern vorn, trotz unterschiedlicher Analytik und Schätzformel. Auch die beiden Qualitätsproben mit schwachen Stärke- und Verdaulichkeitswerten wurden einheitlich an letzter Stelle platziert. Irritierend unterschiedliche Bewertungen gibt es jedoch beim Qualitätstyp APOSTROF, der durch eine gute Zellwandverdaulichkeit bei mittleren Stärkegehalten charakterisiert ist, ähnliches gilt abgeschwächt für den Mehrnutzungstyp Anjou 219. Die gleiche Bewertungsdiskrepanz gab es schon bei der Sorte Attribut, die (als Anjou 259) bis heute in Frankreich eine überragende Stellung als Silosorte besitzt. In Deutschland hingegen wurde die hohe Zellwandverdaulichkeit dieser Sorte nicht erkannt, auch waren französische Fütterungsversuche mit Rindern überzeugender als deutsche Fütterungsversuche mit Hammeln.
Offensichtlich gibt es zumindest im Hinblick auf die Bewertung hochverdaulicher, jedoch weniger stärkebetonter Sortentypen noch offene Fragen, die gegenwärtig auch in einem umfangreichen Vierländer-Ringtest unter Beteiligung des Deutschen Maiskomitee untersucht werden.
Die Forderung für die Zukunft: Rinderhalter mit sehr hohen Tierleistungen benötigen Informationen nicht nur über die Höhe, sondern auch über die Herkunft der verdaulichen Energie. Stammt diese aus einem hohen Anteil hochverdaulicher Zellinhaltsstoffe oder aber aus einer hohen Zellwandverdaulichkeit? Nur so können Maissorten wiederkäuergerecht unterschiedlichen Grundfuttersituationen zugeordnet werden, das KNV-Beratungskonzept gibt hierzu Hinweise.
Sven Böse
Telefon: 0511 72666-251
Auf dem North-Europe-Maize-Meeting der SAATEN-UNION im November 2004 in Cambridge: "Grenzenlos gute Qualitätshybriden zu entwickeln ist kaum möglich, solange es in Europa unterschiedliche Bewertungssysteme für die Futterqualität gibt, hinzu kommt der sehr hohe Analyseaufwand für die jeweiligen Märkte.“
Dr. Frank Röber, Maiszüchter bei der SWS GbR (SAATEN-UNION)