Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Der Weg weg vom Burger?

Der Begriff „Schulbauernhof“ ist für die meisten ein Synonym für „Streichelzoo mit Bauernhof-Flair für ahnungslose Stadtkinder“. Davon ist der Internationale Schulbauernhof gGmbH in Hardegsen allerdings weit entfernt. Hier will man zusammen mit Kooperationsbetrieben Kindern und Jugendlichen einen Rundumblick über die für Niedersachsen typischen landwirtschaftlichen Betriebe vermitteln. Was hier passiert ist Imagearbeit an der „gesellschaftlichen Basis".

Geschäftsführer Axel Unger ist froh, praktische Unterstützung zu bekommen; wie hier von Kverneland
Geschäftsführer Axel Unger ist froh, praktische Unterstützung zu bekommen; wie hier von Kverneland
Eines stellt Axel Unger, Geschäftsführer des Internationalen Schulbauernhofes gGmbH, gleich zu Beginn des Gespräches mit praxisnah klar: „Wir sind keine Exoten! Wir vermitteln kein realitätsfremdes und verklärtes Bild der Landwirtschaft, auch wenn wir hier in denkmalgeschützten Gemäuern biologisch wirtschaften! Gemeinsam mit Sven Westphal, dem Pächter des landwirtschaftlichen Betriebes, wollen wir Fragen rund um die Lebensmittelerzeugung praxisnah beantworten: Wo kommt das Essen her? Wieviel Arbeit steckt darin? Wie wertvoll ist Nahrung? Was ist eine Kulturlandschaft? Welche Bedürfnisse hat ein Tier? Was schützt den Boden? Das sind nur einige der Fragen, für die sich die Kinder und Jugendlichen „learning by doing“ während ihres ein- bis zweiwöchigen Aufenthaltes Antworten erarbeiten.“

 

Die jungen Gäste besuchen Grund- oder weiterführende Schulen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen oder Hamburg und die meisten haben keinen landwirtschaftlichen Hintergrund.

Arbeit diszipliniert nach Plan
Übernachtet wird im nahegelegenen Schullandheim und die Arbeit auf dem Betrieb geht von 7:45 bis 18:00 Uhr nach festem Zeitplan in festen Gruppen im Stall oder in der Hauswirtschaft. Insgesamt zehn Erwachsene kümmern sich um die Themengruppen Kühe und Schafe, Hühner, Schweine, Hauswirtschaft, Kühe melken (feste Gruppen), Grünlandbewirtschaftung, Garten, Milchverarbeitung. Die Kinder erleben in der Gemeinschaft den Werdegang der Grundnahrungsmittel. Sie erfahren, wie viel Arbeit dafür nötig ist und lernen, Essen gesund zuzubereiten.
„Unsere Gäste erfahren hier, dass ihre Arbeit wirklich gebraucht wird und in einem greifbaren Ergebnis endet“, beschreibt Axel Unger einen wichtigen pädagogischen Effekt. Ganz nebenbei werden Themen erläutert wie z.B. „Wie entsteht eine Kulturlandschaft, was ist Boden, warum muss man Naturschutzflächen anders bewirtschaften...“ Ob Biologie, Geologie oder auch Wirtschaft – die Themen liegen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb quasi auf der Hand. Zwar wirtschaftet der Internationale Schulbauernhof biologisch, die Kooperationsbetriebe jedoch überwiegend konventionell. Auf diesen lernen die Kinder und Jugendlichen dann auch andere Haltungs- und Wirtschaftsformen kennen. Und sie erfahren – wenn sie alt genug sind – etwas über die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Axel Unger ist diese Zusammenarbeit mit den konventionell wirtschaftenden Betrieben, wie z.B. dem Schweinemastbetrieb von Jürgen Ropeter und dem Gemischtbetrieb von Wilhelm Günther, sehr wichtig. „Die Schülerinnen und Schüler sollen sehen, wie reale Landwirtschaft funktioniert. Daher gehören auch Mast- und Milchviehbetriebe mit Boxenlaufstall und größeren Herden, Zuckerrübenproduzenten aber auch Gartenbau- und Gemüsebetriebe mit zu unserer Kooperation.“

Arbeit auf dem Schulbauernhof
Arbeit auf dem Schulbauernhof

Ausschließlich Bio funktioniert nicht
Der Internationale Schulbauernhof (siehe auch Betriebsübersicht im Kasten) ist als landwirtschaftlicher Betrieb nicht groß genug, um überlebensfähig zu sein, obwohl natürlich die Landwirtschaft einen Teil des realen Einkommens erwirtschaftet. Als gemeinnützige GmbH mit den Gesellschaftern Landvolk e.V. und dem Institut für Ökologie e.V. ist er ein Lernstandort, der soziale, ökologische, ökonomische und kulturelle Aspekte im Sinne der Agenda 21 aufgreift. Daher wird die pädagogische Arbeit ebenfalls entlohnt. Axel Unger unterstützt zwar die ökologische Landwirtschaft aus „purer Überzeugung“, ist aber Realist genug zu erkennen, dass „ausschließlich Bio derzeit nicht funktioniert“. Und so formuliert er die Kernbotschaft seines Unternehmens: „Der Trend geht bei Grundnahrungsmitteln zu saisonal und regional und jeden Tag Fleisch auf dem Teller muss auch nicht sein.“

Und was bleibt bei den Schüler/innen hängen?
Wie aber geht ein Jugendlicher, der sich in der „Burger-Phase“ befindet, mit dieser Botschaft um? Ändern Fast-Food-Kids ihr Essverhalten? Hier gibt sich Unger ebenfalls sehr realistisch:„ Es ist viel erreicht, wenn sie mal darüber nachdenken, woher die Zutaten eines Billigburgers kommen.“ Auch Kathy Messeguem, begleitende Lehrerin einer Magdeburger Waldorfschule, gibt sich keinen Illusionen hin: „Einige wenige ändern dauerhaft ihr Essverhalten. Für die meisten ist zu Hause im Alltag aber wieder „cooles“ Essen angesagt.“ Also doch alles umsonst? Dazu hat praxisnah die zurzeit auf dem Hof anwesenden Schülerinnen und Schüler an ihrem zweiten Arbeitstag befragt. Vorurteile lösen sich in Luft auf
Auf die Frage, was denn ihr erster Gedanke gewesen sei, als sie von diesem Praktikum hier hörten, waren sich Charlotte, Louisa, Ole und Friederike einig: „Oh mein Gott, bloß nicht!!“ Die Erwartung war unisono: härteste Arbeit in stinkendem Dreck und das pausenlos von früh morgens bis spät abends. Aber schon an diesem erst zweiten Arbeitstag hatte sich so manches Vorurteil gegenüber der Landwirtschaft in Luft aufgelöst. „Die Arbeit ist schon anstrengend und vor allem ungewohnt, macht aber Spaß“, ist Friederikes Meinung und Ole ergänzt: „Man kann danach herrlich schlafen und interessant ist es auch.“

Louisa Messeguem (l), Charlotte Seiers
Louisa Messeguem (l), Charlotte Seiers

Auch Louisa dachte „ich müsste den ganzen Tag nur Scheiße wegschaufeln. Aber so schlimm ist die Arbeit gar nicht.“ Und Charlotte ist zum Hühnerfan geworden: „Die lassen sich sogar auf den Arm nehmen.“
Ganz ohne theoretische Vorkenntnisse geht allerdings niemand ins Rennen, denn vorher standen Tier- und Pflanzenkunde sowie Ernährungskunde auf dem Lehrplan.

Auch wenn die allermeisten ihr Alltags-Essverhalten (erst einmal) nicht wesentlich verändern und doch wieder Fast Food-Burger essen oder schlicht das, was in ihrer Familie eben so auf den Tisch kommt: Sie wissen nach diesem Praktikum alle, wo unsere Grundnahrungsmittel herkommen und wie Landwirtschaft aussieht. Das vergessen sie dank dieser Image-Arbeit des Schulbauernhofes nie.

Dr. Anke Boenisch

 

Westphals Milchschafhof & Internationaler Schulbauernhof Hardegsen gGmbH:
100 ha LN, davon 15 ha AF, 85 ha GL, nach Grundsätzen des biologischen Landbaus. 200–240 Schafe: einige davon zu Lehrzwecken, der überwiegende Teil zur professionellen Milch- und Käseproduktion und der Landschaftspflege 10 Kühe: Verarbeitung der Milch zu Lehrzwecken und Direktvermarktung 3 Sauen/Mastschweine: Haltung zu Lehrzwecken und Direktvermarktung 200 Legehennen: Haltung zu Lehrzwecken und Direktvermarktung

Schulbauernhof
Schulbauernhof


Träger: Landvolk e.V., Institut für Ökologie e.V. Partner (Auszug): „Transparenz schaffen“, ein Kooperations- und Bildungsprojekt für Niedersachsen und Bremen
- Teil des UNESCO-Projekts „Bildung für nachhaltige Entwicklung (Weltdekade der vereinten Nationen 2005–2014)“
- Mitglied im Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“
- Träger der freien Jugendhilfe nach §75 KJHG
Nähere Infos unter: www.internationaler-schulbauernhof.de, www.transparenz-schaffen.de, www.unesco.de
 

Stand: 04.11.2010