Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Ertragsentwicklung: Grenzen des Wachstums erreicht?

Noch ist der langjährige Ertragstrend positiv. Doch nach mehreren durchwachsenen Ernten und zunehmenden Anbaurestriktionen wachsen die Zweifel: Haben wir die Grenzen des Wachstums erreicht? Ist Ertrag zukünftig überhaupt noch der richtige Erfolgsbegriff? Und welche Wachstumstreiber bestimmen die Zukunft? Sven Böse hat dazu eine Meinung.

Die weitere Ertragsentwicklung ist mehrfach gefährdet: durch den Klimawandel, den gesellschaftlichen Wertewandel sowie dem daraus resultierenden Produktionswandel – der „Ökologisierung der Landwirtschaft“. Nach zwei Jahren mit neuen Hitzerekorden und großräumig negativen Wasserbilanzen schmelzen die Ertragserwartungen. Die neue Düngeverordnung reduziert die Nährstoffversorgung. Beim Pflanzenschutz sind wichtige Mittel von Verboten bzw. Wirkungsverlusten bedroht, Neuentwicklungen rar (Abb.1)1.


Kornerträge, N-Düngung, Fungizide

Kornerträge, N-Düngung, Fungizide


Ökologisierung heißt nicht Extensivierung

Zwar sinkt mit dem zurückgehenden Faktoreinsatz die Anbauintensität, eine drastische Extensivierung des Pflanzenbaus ist daraus jedoch (noch) nicht abzuleiten. Diese wäre auf den fruchtbaren Ackerbaustandorten Mitteleuropas auch unvertretbar – für die Marktversorgung ebenso wie für den Naturschutz. Denn viel Naturlandschaft gibt es nur mit wenig Kulturlandschaft – und damit hoher Flächenproduktivität. Zudem ermöglichen hohe Erträge eine effizientere Wasser- und Düngernutzung sowie mehr CO2-Fixierung über humusbildende Ernterückstände.

Auch was den Klimawandel angeht, ist Panik in unseren Breiten eine schlechte Ratgeberin: Schwache Erträge in Folge gab es auch in der Vergangenheit, bisher immer gefolgt von neuen Rekordernten. Die letzte liegt allerdings schon fünf Jahre zurück: 2014 – das bis dahin wärmste Jahr seit Messbeginn – überraschte am Ende trotz trockenen Frühjahres mit Spitzenerträgen. Zunächst dürfte sich der Klimawandel wohl eher auf die Schwankung als auf die mittlere Höhe der Erträge auswirken. Den zunehmenden Wetterextremen stehen ja auch positive Ertragseffekte des Klimawandels entgegen, etwa das höhere Strahlungsangebot, die Verlängerung der Jugendentwicklung oder der CO2-Düngungseffekt.


Wachstum: Ziel nicht aus den Augen verlieren

Die Landwirtschaft ist dabei, bisherige Anbauverfahren zu hinterfragen und sich neu auszurichten. Doch ob konventionell, integriert oder ökologisch – professionelle Ackerbaustrategien dürfen das eigentliche und damit zentrale Produktionsziel nicht aus den Augen verlieren: Möglichst viel Sonnenenergie organisch zu fixieren und für den Menschen nutzbar zu machen. Nicht nur ökologisch und sozial, sondern auch ökonomisch vertretbar, so ist Nachhaltigkeit definiert!

In Abb. 2 werden die Produktionsmittel in ihrer Ertragsrelevanz für die vergangenen 70 und die kommenden 20 Jahre eingeschätzt: Die enormen Ertragssteigerungen um durchschnittlich 2 % jährlich ab Ende der 1960er Jahre wurden zunächst vor allem durch Technik, Düngung und Pflanzenschutz angetrieben. Ab den 1980er Jahren nahm der Zuchtfortschritt Fahrt auf und bestimmt spätestens seit der Jahrtausendwende maßgeblich die Steigerung bzw. Stabilisierung der Erträge. Große Erwartungen richten sich nun auf die Digitalisierung als Schlüsseltechnologie der „Landwirtschaft 4.0“. Wie sind diese Entwicklungen im Einzelnen zu begründen?


Landtechnik: Möglichkeiten nicht ausgereizt

Ertragsfördernd ab den 1950er Jahren war zunächst die breite Mechanisierung mit leistungsfähigeren Schleppern. Das ermöglichte eine tiefere Bodenbearbeitung und damit mächtigere Krume. Gleichmäßigere Radlasten, bodenschonendere Bereifung und schließlich aufgesattelten Geräte schützen diese wirkungsvoll vor Strukturschäden. Das mit rückläufiger Einstreu auf den Feldern verbleibende Stroh wurde ab den 1970er Jahren nicht mehr verbrannt, sondern wie auch andere Ernterückstände mischend in die Krume eingearbeitet. Spezialisierte Ackerbaubetriebe konnten so auch ohne Stallmist die Humusgehalte ihrer Böden erhalten. Unmittelbar ertragswirksam war die immer präzisere Applikation von Saatgut, Dünger und Spritzmitteln. Hinzu kam die steigende Schlagkraft, die über eine termingerechtere Bestellung, Bestandesführung und Ernte Ertragseinbußen verringerte. Noch im Fluss sind die Fortschritte rund um die Präzisionslandwirtschaft: Gezielter dosiert und punktgenau platziert, können Betriebsmittel effizienter für die Ertragsbildung genutzt werden.


Pflanzenernährung: Ende der Fahnenstange

Nach Zulassung strohstabileren Sorten und des Halmverkürzers Chlormequatchlorid (CCC) hatte sich die N-Düngung ab Ende der 1960er Jahre im Verlauf von 20 Jahren etwa verdoppelt. Boden- und Pflanzenanalysen ermöglichten eine gezieltere Versorgung mit Makro- und Mikronährstoffen, gesplittete N-Gaben eine immer ausgefeiltere Bestandesführung. Ab den 1990er Jahren waren diese Entwicklungen zunehmend ausgereizt, die Nährstoffversorgung stabilisierte sich auf hohem Niveau. Gegenwärtig wird im Rahmen der Düngereform die N-Versorgung um wenigstens 10 % eingeschränkt, weit stärkere Restriktionen drohen in den „Roten Gebieten“. Hier gilt es, über technische und pflanzenbauliche Maßnahmen bestmöglich gegen zu wirken: Mit geringeren N-Verlusten, stickstoffmehrenden bzw. -sparenden Kulturen sowie möglicherweise Biostimulanzien sind zumindest in den „Grünen Gebieten“ auch bei maßvoll reduziertem Düngungsniveau hohe Weizenerträge möglich. Hohe Eiweißgehalte hingegen kaum, zumal die N-Düngung eher bei der letzten Gabe eingeschränkt wird. Doch auch hier gibt es Anpassungsmöglichkeiten, etwa Sorten mit höherer N-Nutzungseffizienz2.



Wachstumstreiber

Wachstumstreiber


Pflanzenschutz: Wirkstoffe sind Mangelware

Der steile Ertragsanstieg bis Ende der 90erJahre wurde durch chemischen Pflanzenschutz mehrfach unterstützt: Durch die Eliminierung von Schadorganismen, die ertragsphysiologische Wirkung systemischer Fungizide („Greening“) sowie die Absicherung gleichermaßen riskanter wie lukrativer Intensitätssteigerungen. Denn erst in Verbindung mit hohem Fungizid-, Insektizid- und Herbizideinsatz wurden Frühsaaten, enge Fruchtfolgen und eine hohe N-Versorgung möglich – ebenso der Anbau krankheits-anfälliger Hochertragssorten.

Viele Wirkstoffe verlieren nun wegen veränderter Gefahrenbewertung, Umweltwirkung oder Substitutionsmöglichkeit die Zulassung. Insektizidanwendungen konzentrieren sich nach dem Verbot von Dimethoat und Neoniconoiden nun noch mehr auf die Pyrethroide. Dort sind weitere Wirkungsverluste zu befürchten, ebenso bei Herbiziden, wo seit über 30 Jahren keine neuen Wirkungsmechanismen zum Einsatz kommen. Weil sehr spezifisch wirkend, sind bei den Fungiziden v. a. die Strobilurine und Carboxamine durch Resistenzbildungen gefährdet und damit nur noch begrenzt nutzbar. Bei den Triazolen, dem Rückgrat jeder Fungizidstrategie, laufen die älteren Wirkstoffe aus, Prothioconazol steht jedoch weiter zur Verfügung, ebenso das neue Isopropanol.

Zukunftshoffnungen beruhen nun auf den sogenannten Biologikas, deren Wirkung beispielsweise auf Enzymen, Nukleinsäuren oder Viren basiert. Diese „Biopestizide“ müssen ihre Wirkungspotenz im breiten Praxiseinsatz allerdings noch beweisen, ebenso die gesellschaftliche Akzeptanz.


Pflanzenzüchtung: Aufwärtstrend ungebrochen

Der Ertragsfortschritt seit Mitte der 1960er Jahre wurde in dem wissenschaftlichen Verbundprojekt BRIWECS3 eingehend untersucht. In diesem wurden 191 Winterweizensorten der Zulassungsjahrgänge 1966 bis 2013 zweijährig auf sechs Standorten miteinander verglichen. Der daraus abzuleitende jährliche Zuchtfortschritt betrug

  • 0,35 dt/ha bei extensiver Düngung (110 kg N/ha inkl. Nmin) ohne Fungizid
  • 0,44 dt/ha bei optimaler N-Düngung (220 kg N/ha inkl. Nmin) ohne Fungizid
  • 0,32 dt/ha bei optimaler N-Düngung und Fungizideinsatz

Überzeugend ist vor allem der höhere Ertragsanstieg bei optimaler Düngung ohne Fungizide, hier zeigt sich der verbesserte Gesundheitswert jüngerer Sorten. Doch warum kommt dieser Ertragsfortschritt nicht in der Praxis an? Dazu ist festzustellen, dass der Praxisertrag neben dem „genetischen Ertragstrend“ auch vom „nicht genetischen Ertragstrend“ bestimmt wird (Miedaner 2018). Letzterer umfasst die Wirkung von Anbau und Witterung auf den Ertrag, stagniert seit etwa der Jahrtausendwende und könnte in Zukunft sogar sinken. Zuchtfortschritt dient also auch – oder vor allem – der Ertragsstabilisierung. Fest steht: Würden heute die Weizen­sorten von 1980 gedroschen, lägen die Erträge um durchschnittlich 13 dt/ha niedriger!



Digitalisierung: cloudoptimierte Anbauprozesse

Die Versprechungen sind groß: Digital verknüpft werden Einzelprozesse „zu multidimensionalen technischen Ökosystemen. Wissen, Fähigkeiten und Ressourcen werden vernetzt, Produktionsprozesse flexibler und resilienter“ (Wikipedia).

Noch fehlt es an der Kompatibilität unterschiedlicher IT-Netze und Datenstrukturen. Auch an Vertrauen in den Datenschutz sowie weiteren Entwicklungen etwa bei der Sensorik. Doch wenn es soweit ist, könnte der Zuchtfortschritt mittels cloudbasierter Sortenwahl und Anbauoptimierung effizienter genutzt werden. Abb. 3 zeigt einen denkbaren, sich selbst verstärkenden Innovationszyklus. Präzisionslandwirtschaft ist dabei verknüpft mit digitalem Entscheidungsmanagement, basierend auf der Dokumentation vielfältiger Genotyp/Umwelt-Interaktionen.

In solch einem praxisbasierten Sortenscreening könnten auch Spezialsorten ihre Stärken zeigen, etwa eine bessere Ungrasunterdrückung, pH-Toleranz oder Nährstoffeffizienz. Klassische Sortenprüfungen würde dadurch ergänzt bzw. teilweise ersetzt, die Sortenentwicklung genetisch verbreitert. Davon würden auch die Erträge profitieren. Denn mit teilflächenspezifischer Aussaat stünden dann auf einem heterogenen Schlag nicht mehr ausschließlich genetisch identische Vollgeschwister. Statt dessen mehrere Sorten mit angepasster Genetik, individuell und punktgenau geführt, von der Saatstärke bis zur N-Spätdüngung.


Zukunft: Am Ende ist es ein Wettlauf!

Plakativ formuliert, steht der Pflanzenbau nach dessen „Industrialisierung“ nun vor seiner „Biologisierung“. Dabei geht es um mehr Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschutz, biologische Regulation und genetische Diversität. Diese Transformation verunsichert, verändert sich doch mit dem Handlungsrahmen auch die bisher gelebte „gute fachliche Praxis“. Niedergangszenarien sind daraus jedoch nicht abzuleiten! Diese liegen meist falsch, weil sie Anpassungsmöglichkeiten und technische Innovationen unterschätzen.

Die weitere Ertragsentwicklung ist nicht Schicksal, sondern das Resultat positiver wie negativer Wirkungsgrößen, die teilweise zu beeinflussen sind! Am Ende ist es ein Wettlauf! Noch ist nicht absehbar, wie stark Klimawandel und Anbaurestriktionen die Erträge beeinträchtigen – hier überwiegt gerade im Hinblick auf die „Rote Gebiete“ Pessimismus. Entscheidend ist am Ende, ob im Vergleich dazu der biologischtechnische Fortschritt – und damit die Faktorproduktivität – größer oder kleiner ist. Da jedoch ist mit Blick auf die Entwicklungen in den Zuchtgärten, Werkstätten und Laboren eher Optimismus angebracht.

Züchterische Innovationen in Verbindung mit digital optimierten Anbauprozessen können dazu beitragen, die Erträge auf hohem Niveau zu stabilisieren bzw. sogar weiter zu steigern! Bedingung dafür sind große Entwicklungsanstrengungen, angestoßen durch entsprechenden Handlungsdruck. So betrachtet ist die gegenwärtige Umbruchstimmung womöglich sogar Voraussetzung für einen „biologisierten“ und dabei doch hochproduktiven Pflanzenbau der Zukunft.

 

Sven Böse


1 Die Ertragsentwicklung ist logarithmisch skaliert, um die Ertragsschwankungen in der
richtigen Verhältnismäßigkeit darzustellen.

2 siehe www.saaten-union.de/index.cfm/article/10232.html

3 BRIWECS – Pflanzenzüchterische Innovationen bei Weizen für resiliente Anbausysteme, hier zitiert nach Voss-Fels et.al. 2019

 

Weizensorten, die Geschichte machten

Deutschland ist äußerst vielgestaltig, entsprechend groß ist das Angebot an Weizensorten. Bereits die Beschreibende Sortenliste 1970 zählte 36 Winterweizensorten, die aktuelle Ausgabe 165!

Bis Ende der 1970er Jahre stand mit Verdrängung des Mähbinders zunächst die Mähdruschfähigkeit im Vordergrund, Strohstabilität und Kornsitz mussten bis zur Totreife gewährleistet sein. Gefragt waren vor allem die Sorten Jubilar und Caribo, ab 1975 mit Diplomat auch erstmals ein Winterweizen mit A-Qualität. In den 1980er Jahren trugen im Westen v. a. Intensivsorten wie Kanzler und Okapi zum Ertragsfortschritt bei, im Osten Alcedo. Nach der Wiedervereinigung dominierten zunächst Orestis, Astron und Borenos das Sortiment, ab Mitte der 1990er Jahre Bussard, Zentos und Ritmo. Nach der Jahrtausendwende repräsentierten erfolgreiche Sorten wie Tommi, JB Asano oder Elixer den Ertragsfortschritt, gegenwärtig mit führender Anbaubedeutung RGT Reform.

Alle vorliegenden Ergebnisse sprechen dafür, dass sich der züchterische Ertragsfortschritt fortsetzt, unterstützt von weiter steigender Widerstandskraft gegen Pathogene und abiotischen Stress. Weiteres Ertragspotenzial eröffnen Weizenhybriden, bereits jetzt stellen sie die ertragreichsten Wertprüfungsstämme. Deren Mehrleistung gegenüber den besten Liniensorten – die „kommerzielle Heterosis“ – liegt bei 8–10 %, wie mehrjährig im Forschungsprojekt HYWHEAT belegt. Verstärkte Investitionen in die Hybridtechnologie können diese Ertragsreserve erschließen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stand: 18.12.2019