Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Meinung: Landwirtschaft und Wertewandel – „Besser Teil der Lösung“

Über Jahrtausende hat Landwirtschaft die Biotop- und Artenvielfalt Mitteleuropas bereichert. Offene Kultur­landschaften, durch Hecken, Saumstrukturen und kleinparzellierte Nutzung vielfältig gegliedert, schufen neue Lebensräume für eine einzigartige Fauna und Flora. Diese – von der Landwirtschaft selbst erst ermöglichte Biodiversität – dient nun als Maßstab für moderne Kulturlandschaften.

Blühstreifen am Maisfeld
Blühstreifen am Maisfeld
Doch die Natur kennt keinen Stillstand! In ihrem heutigen Zustand ist sie das Resultat der intensiven Ressourcennutzung einer wachsenden Bevölkerung: Die Verbauung und Zersiedelung der Landschaft inklusive wasserbaulicher Maßnahmen verkleinern und zerstückeln Lebensräume. Deren private und gewerbliche Nutzung verursacht umweltrelevante Emissionen aller Art bis hin zu Licht und Schall.

Von den vier Wirtschaftssektoren steht die Urproduktion und dort die Landwirtschaft in engster Wechselwirkung mit der Biodiversität. Und damit auch mehr im Fokus der Öffentlichkeit als die Industrie-, Dienstleistungs- und Informationsbranchen! Als landwirtschaftlich mitverantwortlich für den Artenschwund gelten im Rückblick der vergangenen Dekaden

  • die Mechanisierung („Industrialisierung“) und die damit einhergegangene Flurbereinigung – vielerorts verbunden mit dem Verschwinden von Feldgehölzen, Ackersäumen und Tümpeln.
  • der Rückgang der Nutzpflanzenvielfalt: Heute wachsen auf 80 % der Ackerfläche Wintergetreide, Mais und Raps. Zulasten z. B. des Leguminosenanbaus, der vor 50 Jahren noch mit 20 Schmetterlingsblütlern vertreten war (inklusive Futterbau).
  • engere Fruchtfolgen, resultierend aus dem Bemühen um eine rationellere Bewirtschaftung sowie der Spezialisierung in Betriebsformen, vor allem die Trennung in Futterbau- und Marktfruchtbetriebe.
  • eine intensive mineralische und organische Düngung, einhergehend mit dichteren und, vor allem bei Grünlandnutzung, artenärmeren Pflanzenbeständen.
  • ein intensiver chemischer Pflanzenschutz: Dieser beeinflusst die Biodiversität zum einen in direkter Wirkung, zum anderen auch indirekt über die Verringerung von Nahrungsangeboten und Habitaten.

Über Feldhamster wird schon lange nicht mehr gewitzelt

In den 1970er Jahren wurden „die Grenzen des Wachstums“ erstmals in breiter Öffentlichkeit diskutiert. Ab Anfang der 1980er Jahren besetzte eine rasch wachsende Ökobewegung den Naturschutz politisch und zog mit wachsenden Wahlerfolgen in die Parlamente ein. Nach der Rio-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992, installierte der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“. Diese empfahl als neues Leitbild das „Dreisäulenprinzip der nachhaltigen Entwicklung“: Ökologische, ökonomische und soziale Ziele sollen gleichzeitig, gleichberechtigt und in ihren Wechselbeziehungen berücksichtigt werden.


Dieses Leitbild beeinflusst seitdem maßgeblich Gesetze, Verordnungen und Genehmigungsverfahren. Feldhamster und Knabenkraut hatten plötzlich ebenso Anspruch auf ihre Lebensgrundlage wie die Kommune auf ihr Gewerbegebiet. Kopfschütteln oder gar Spott wie ehemals, provoziert diese ganzheitliche Betrachtungsweise heute kaum mehr! Diskutiert werden mittlerweile auch nicht mehr einzelne Populationen bedrohter Nager oder Orchideen, sondern der Schwund eines ganzen Tierstamms: Die Biene steht symbolisch für weitere Gliederfüßer samt vor- und nachgelagerten Lebensgemeinschaften, von den Blütenpflanzen über Insektenfresser bis hin zum Bodenleben.


 „Grenzen der Nachhaltigkeit überschritten“

Der gesellschaftliche Wertewandel bestimmt seit Jahrzehnten auch zunehmend die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Landwirtschaft. Biologische Vielfalt ist dabei mit breitem Konsens der pflanzenbauliche Indikator für nachhaltige Bewirtschaftung. Sie ist zentrales Ziel und auch Instrument von EU-Verordnungen („Cross Compliance“, „Greening“) ebenso wie von „Ackerbaustrategien“ der Verbände, Parteien und Regierungen.

2017 sah schließlich auch die DLG in ihren „10 Thesen“ in „einigen Entwicklungspfaden die Grenzen der Nachhaltigkeit überschritten und die Resilienz der Systeme gefährdet“. Ausdrücklich Bezug genommen wurde hierbei auf die Diskussion um den „Rückgang der Artenvielfalt in intensiv genutzten Agrarlandschaften“. Als Konsequenz, so die DLG, solle „das marktfähige Kulturartenspektrum erweitert werden, sodass klassische Fruchtfolgesysteme einem ganzheitlicheren ackerbaulichen Anspruch genügen“.


Aufgelockerte Fruchtfolge/Beispiel; zum Vergrößern bitte anklicken
Aufgelockerte Fruchtfolge/Beispiel; zum Vergrößern bitte anklicken
Vielfalt drischt besser

Nicht ohne Grund. Denn vielfältigere Fruchtfolgen entsprechen neben gesellschaftlichen Erwartungen auch einer ganzen Reihe pflanzenbaulicher Herausforde­rungen:

  • Ob „Global Warming“ oder Extremwetter – Jedes Jahr ist anders und die Früchte reagieren sehr unterschiedlich auf Witterungskonstellationen. Raps oder Wintergerste leiden nicht unter Sommerdürre, Sommerungen nicht unter Extremwintern, Mais und Rüben weniger unter trockenen Frühjahren. Auch Sorten reagieren spezifisch auf Witterungsausschläge, die größte Rolle spielen hierbei Unterschiede in der Entwicklung und den Resistenzeigenschaften. Genetische Vielfalt auf Fruchtfolge- und Sortenebene ist deshalb die beste Versicherung gegen die Unwägbarkeiten des Klimawandels.
  • Der chemische Pflanzenschutz verliert an Bedeutung: Es gibt kaum neue Wirkstoffe, zugelassene werden zurückgezogen, andere verlieren an Wirkung. Noch wichtiger als bisher ist deshalb ein konsequent gelebter inte­grierter Pflanzenschutz. Vorrangig sind dabei gesunde Sorten und Fruchtfolgen in Verbindung mit angepassten Kulturmaßnahmen. Neue Sorten spielen hier eine entscheidende Rolle: Auch Kulturpflanzen können das evolutionäre Wettrüsten mit Krankheitserregern nur mit genetischer Variabilität bestehen, diese verringert deren Anpassungsmöglichkeit und damit die epidemische Ausbreitung.
  • Auch im Hinblick auf die Düngeverordnung wird genetische Diversität wichtiger: Je geringer das Stickstoffangebot, umso vorteilhafter sind Stickstoffsammler, Tiefwurzler oder auch Kulturen mit geringerem bzw. zeitlich differenziertem Nährstoffbedarf. Die Natur macht es vor: Mit geringerem Nährstoffangebot steigt die Artenvielfalt, das gilt für Magerwiesen genauso wie für Korallenriffe oder Regenwälder – alles vergleichsweise nährstoffarme Lebensräume.  In der Fruchtfolge bringen Leguminosen, Zwischenfrüchte oder exten­sivere Getreidearten Nährstoffe in die Fruchtfolge, schützen diese vor Auswaschung oder ermöglichen mit ihrem geringen N-Bedarf die Versorgung anspruchsvollerer Früchte wie Weizen oder Raps.
  • Die zunehmende Digitalisierung der Produktionsprozesse wird die genetische Vielfalt auf den Äckern ebenfalls fördern. Fortschritte in den Bereichen Sensorik und Datenverarbeitung können einen riesigen, noch weit­gehend ungenutzten Erfahrungsschatz heben: Praxis­erfahrungen zur spezifischen Reaktion der Sorten und Kulturen auf unterschiedlichste Umwelt- und Anbaubedingungen. Vielfältige Anbauergebnisse – bis hin zu teilflächenspezifischen Erträgen – werden überbetrieblich geteilt und intelligent verknüpft die Anbauprozesse individualisieren – und damit auch die Sortenwahl und die Fruchtfolgen.

Vielfalt rechnet sich

Die Landwirtschaft kann die aktuellen Entwicklungen nutzen, ihre Leistungen für die Biodiversität glaubwürdig zu belegen. Dazu gehört, unaufhaltbare Entwicklungen selbst thematisch und kommunikativ zu besetzen – nicht länger als Problem wahrgenommen zu werden, sondern als Teil der Lösung.

Die Sensibilität und auch das Engagement der Pflanzenbauer für den Artenschutz ist gewachsen: Dabei darf es jedoch nicht bei Begleitmaßnahmen wie Lerchenfenster, Sitzstangen, Blühstreifen oder Bienenweiden bleiben. Auch die eingeleiteten Veränderungen bei den Anbauverfahren selbst sind aktiv in allen Medien zu kommunizieren: als verantwortungsbewusst und umweltschonend, als handwerklich professionell (statt konventionell oder gar industriell!). Und gleichzeitig auch als hochproduktiv – vielfältige, robuste und gesunde Fruchtfolgen rechnen sich!

Vorausdenkende Berater und Praktiker haben das erkannt: Wintergerste erfährt neue Wertschätzung, Hafer und Braugerste sind begehrt wie lange nicht, Leguminosenarten kehren wieder in die Fruchtfolgen zurück, Dinkel und Durum erobern neue Märkte. Auch der Umfang und die Vielfalt des Zwischenfruchtanbaus belegen die Aufgeschlossenheit für nachhaltige Anbauverfahren – auch die Bereitschaft, in diese zu investieren! 

Wo immer räumlich möglich, kann mit  Verbund-Fruchtfolgen die Trennung in Futterbau- und Marktfruchtbetrieben auf Fruchtfolgeebene aufgehoben werden (s. Abb. 2). Marktfruchtbetriebe könnten so etwa die Vergrasungsprobleme oder die „Rapsmüdigkeit“ ihrer Standorte mit mehrjährigem Kleegrasanbau sanieren, Futterbaubetriebe maisbetonte Fruchtfolgen mit blühenden Ölfrüchten und Leguminosen auflockern.

Am Ende muss sich Vielfalt rechnen, sonst wäre sie nicht nachhaltig! Das gilt im intensiven Pflanzenbau genauso wie im ökologischen! Es ist zu hoffen, dass wachsende Märkte und damit  festere Preise z. B. für Hafer, Braugerste, Durum oder Leguminosen deren ackerbauliche Vorteile ergänzen.

 

Sven Böse

 

Stand: 30.04.2019