Aktuelle Ausgabe 02/2024

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Mehr Vielfalt, weniger Probleme: Das Anbauspektrum geschickt erweitern!

In den letzten 40 bis 50 Jahren hat sich das Anbauspektrum der heimischen Kulturarten aufgrund vielfältiger Ursachen dramatisch verringert. Der Pflanzenschutz wurde zur tragenden Säule der Pflanzenproduktion – mit dramatischen Folgen: Viele Ackerbaubetriebe stehen heute mit dem Rücken zur Wand! Günter Stemann, FH Südwestfalen, zeigt Lösungsansätze.

Ausreichend große Zeitspanne für Bodenruhe und Bodenbearbeitung vor der Saat einplanen!
Ausreichend große Zeitspanne für Bodenruhe und Bodenbearbeitung vor der Saat einplanen!
Durch den immensen züchterischen Fortschritt vor allem bei Mais, Raps und Weizen verloren andere Kulturen an Wettbewerbsfähigkeit. Der zunehmend leistungsfähigere Getreidedrusch erzeugte arbeitswirtschaftliche Nachteile im Feldfutterbau. In der Folge spezialisierten sich Betriebe zu reinen Marktfruchtbetrieben mit Weizen als Hauptkulturart. Die rasante Mechanisierung der gesamten Arbeitskette im Maisanbau führte in Verbindung mit hohen Ertragssteigerungen schnell zu einer dominierenden Stellung des Silomaises und zur Entwicklung von Regionen mit stark konzentrierter Viehhaltung. Im Süden kam der Körnermais mit Wärme und Trockenheit sehr gut zurecht und verdrängte zunehmend das Getreide. Mit der Etablierung der 00-Rapssorten stiegen Verwertungsmöglichkeiten und Nachfrage. Der Anbau wurde daher vor allem im Norden und Nordosten stark ausgedehnt – bis auf Fruchtfolgeanteile über 30 %.


saubere Bestände durch ackerbauliche Maßnahmen
saubere Bestände durch ackerbauliche Maßnahmen
Pflanzenschutz wurde vom Hilfsmittel zur tragenden Säule
Zusätzlich wurden in den 70er Jahren sehr effiziente Pflanzenschutzmittel verfügbar, die enge Anbausysteme mit oft nur 2 bis 3 Kulturen, bei Mais und Weizen sogar Monokulturen, möglich machten. Wenn sich nach 3 bis 4 Rotationsumläufen (9 bis 12 Jahre) erste phytosanitäre Probleme entwickelten, konnte die chemische Industrie zum passenden Zeitpunkt neue Lösungen anbieten. Der Einsatz der Chemie war nun nicht mehr nur ein „dienendes“ Hilfsmittel zur Absicherung der Produktion, sondern entwickelte sich zu einem zwingenden, unverzichtbaren, „tragenden“ Bestandteil.

Fallende Erzeugerpreise erhöhten in den 90er Jahren den wirtschaftlichen Druck. Betriebswirtschaftliche Überlegungen und der zu enge Blick auf den kurzfristigen Deckungsbeitrag förderten erneut die Konzentration auf ertrags- und umsatzstarke Kulturen. Gleichzeitig wurden mehr und mehr Betriebsmittel reduziert. Geringere Aufwandmengen beim Pflanzenschutz bei steigendem Problemdruck: Das konnte nicht unendlich lange gut gehen!


Heute stehen Ackerbaubetriebe in einigen Regionen vor enormen Problemen:

  • Hohe Besatzdichte von Ungräsern (Ackerfuchsschwanz, Windhalm, Trespe) in getreidelastigen Fruchtfolgen mit weitgehender Resistenzentwicklung
  • Desensibilisierung (Shifting) bzw. Resistenzbildung bei pilzlichen Erregern im Getreide gegenüber wichtigen Wirkstoffgruppen
  • Resistenzentwicklung bei Insekten gegenüber Pyrethroiden (Blattläuse, Rapserdfloh, Rapsglanzkäfer), infolge dessen Zunahme von Viruserkrankungen
  • Schnelle Ausbreitung des Maiszünslers
  • Zunahme von bodenbürtigen Erregern mit teils schwieriger Bekämpfbarkeit (Rhizoctonia, Verticillium, Kohlhernie, usw.)

 

Gleichzeitig verändern sich die allgemeinen Rahmen­bedingungen und erschweren die Situation:

  • Fehlende Innovationen („Meilensteine“) in der Wirkstoffentwicklung und zukünftig stärkere Restriktionen im Bereich des Pflanzenschutzes
  • Stringentere Vorgaben der Düngeverordnung
  • Klimaveränderung (Extremwetterlagen, Zunahme von Stresssituationen, weniger Feldarbeitstage für Saat und Ernte)

Phytosanitäre Maßnahmen: Hackfrüchte; zum Vergrößern bitte anklicken
Phytosanitäre Maßnahmen: Hackfrüchte; zum Vergrößern bitte anklicken
Betriebswirtschaftliche Bewertungen überdenken!

In dieser festgefahrenen Situation können Lösungsansätze nur wirksam sein, wenn an der primären Problemursache angesetzt wird. Alle Ackerbauexperten sind sich darüber einig, dass dazu eine Auflockerung einseitiger Fruchtfolgen erforderlich ist. Natürlich ist nach wie vor eine hohe Rentabilität wichtig. Jedoch werden die komplexen Wechselwirkungen in Fruchtfolgesystemen oftmals falsch bewertet und „Wohlfahrtswirkungen“ einer aufgelockerten Fruchtfolge werden unterschätzt. Ohnehin sind zahlreiche „weiche Faktoren“ standort- und betriebsindividuell, somit nicht pauschal zu bewerten und fallen daher zu oft komplett aus dem Sichtfeld. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich Effekte erst mittel- bis langfristig einstellen, wie Strukturverbesserung, Steigerung der Bodenaktivität, verbesserte Bearbeitungsfähigkeit und Anreicherung von Antagonisten. Hinzu kommt, dass Feldversuche solche Effekte nur bedingt erfassen können, denn diese Untersuchungen sind extrem aufwendig und die Versuchsdauer ist viel zu kurz.


Strategische Lösungsansätze

Deren Umsetzung erfordert insbesondere nach Winterungen eine größere Zeitspanne zwischen der Ernte und der neuen Saat für eine zielgerichtete Bodenbearbeitung und Phasen der Bodenruhe.

Phytosanitäre Maßnahmen Leguminosen
Phytosanitäre Maßnahmen Leguminosen
1. Zeit zwischen Ernte und Saat gewinnen!

Die oben aufgelisteten Probleme können nur gelöst werden, wenn der Fruchtwechsel einen erweiterten Handlungsspielraum für ackerbauliche Maßnahmen eröffnet. Beispiel Raps nach Weizen: Eine Zeitspanne, die regional zwischen 7 bis etwa 20 Tagen schwankt, ist zu eng und verursacht arbeitswirtschaftlichen Druck, der nur das Notwendigste zulässt.

Welche Zeitspanne aber ist ausreichend? Für das möglichst vollständige Auflaufen von unerwünschten Samen, der Beseitigung des Auflaufs sowie für Nachverteilung und Rotte der Erntereste sind mehrfache Überfahrten (Striegel, Grubber) in einem Abstand von ca. 14 Tagen erforderlich. Die Prozesse sind unmittelbar von Bodenfeuchte und Temperaturen abhängig, daher können die Zeitabstände jährlich stark variieren. Drei sorgfältige vorbereitende Stoppelbearbeitungsgänge belegen einen Zeitraum von etwa 30 bis 40 Tagen. Die Herrichtung des Saatbettes erfolgt idealerweise 10 bis 14 Tage vor dem angestrebten Saatzeitpunkt, sodass Unkrautsamen keimen und die erste Welle mit dem Saatvorgang beseitigt werden kann. Eine Spanne von 50 (bis 60) Tagen wäre also ackerbaulich sehr günstig und beinhaltet genügend zeitliche Reserven für z.B. arbeitswirtschaftliche Engpässe bzw. für die Ausbringung von Grunddünger oder Kalk.

Zeitspannen im Vergleich:

  • Raps nach Wintergerste: 40 bis 45 Tage
  • Winterungen mit Oktobersaaten von Roggen, Triticale, Weizen, ggf. auch Gerste: 50 bis 60 Tage
  • Winterweizen nach Raps: 70 bis 80 Tage
  • Sommerung nach Getreide: rd. 200 bis > 250 Tage! Dieser komfortable Zeitraum entspannt die Arbeitswirtschaft. Allerdings sind dann oft zusätzlich Maßnahmen zur Überbrückung bzw. zum Bodenschutz erforderlich (Zwischenfruchtanbau).

     

Phytosanitäre Maßnahmen Raps
Phytosanitäre Maßnahmen Raps
2. Krankheitserreger und Schädlinge ausmanövrieren

Bei der Gestaltung von Fruchtfolgen vorbeugende Maßnahmen eingebunden werden, um den Pflanzenschutz zu entlasten. (s. Tabelle 1a-c). Der Idealfall ist ein Wechsel von Halmfrucht und Blattfrucht bzw. Sommerungen. Dadurch sinkt einerseits generell der Befalls- und Selektionsdruck. Andererseits ergibt sich häufig ganz automatisch, dass die noch notwendigen Pflanzenschutzmittel wechselnde Wirkstoffe beinhalten und somit der Entwicklung von Resistenzen effektiv entgegengewirkt wird.

 

Zusätzlich müssen im Gesamtkonzept weitere wichtige Stellschrauben optimal einjustiert werden:

  • Zerkleinerung der Erntereste: An Stoppeln und Wurzeln überdauern vielfach spezifische Krankheitserreger. Zusätzlich die Rotte fördernde Maßnahmen (Mulchen) sind immer sinnvoll und in einigen Kulturen (Mais, Raps) unverzichtbar.
  • Frühsaaten vermeiden: Lange Warmphasen vor der Winterruhe, die immer häufiger auftreten, setzen Raps- und Weizenbestände vielen bodenbürtigen Pathogenen und Schädlingen aus und auch der Unkrautdruck steigt.
  • Eine intensive, möglichst tiefe Bodendurchwurzelung ist der Schlüssel für stabile Erträge. Pfluglose Systeme können hier punkten, tragen zu einer besseren Versorgung mit kapillar aufsteigendem Bodenwasser bei und zeigen eine bessere Wasserinfiltration bei Starkregen. Ebenso wichtig ist die Entwässerung durch intakte Drainagen und die Aufrechterhaltung des optimalen pH-Wertes.
  • Aufgelockerte Fruchtfolgen mit Sommergetreide: Wenn bereits resistente Ungräser bzw. schwer bekämpfbare Unkräuter auftreten, muss konsequent gehandelt werden – ggf. gilt: „Null-Toleranz“! In weiten Fruchtfolgen können Ungräser kulturschonend in der Blattfrucht bekämpft werden, die Unkräuter in den Halmfrüchten.

Fazit

Wir müssen uns im Ackerbau neu orientieren! Als wirksamstes Werkzeug erweist sich eine geschickte Anpassung der Fruchtfolge, die jedoch in weitere Maßnahmenpakete eingebettet werden muss. Je größer die regionale Brisanz pflanzenbaulicher Probleme ist, desto konsequenter müssen Anpassungsmaßnahmen erfolgen. Geduld ist gefordert: Erst nach und nach, aber schließlich mit zunehmender Dynamik entfalten Fruchtfolgeänderungen ihre gewünschte Wirkung. Regional wird dies nicht immer kostenneutral umzusetzen sein.

Es steht jedoch fest: Längeres Abwarten und das „Weitermachen wie bisher“ wird im Endeffekt nur teurer und noch langwieriger.

Stand: 18.12.2017