Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Vermehrung: Den Zuchtfortschritt schneller in die Praxis bringen

Indem Zuchtfortschritt zeitnah auf die Praxisbetriebe übernommen wird, können Sortenvorteile auch schnell(er) zu ökonomischen Gewinnen führen. Wie können Handel und Züchter dazu beitragen? Ein Beispiel aus Schleswig-Holstein.

Üblicherweise wird von einer Sorte eine breite Vermehrung von Z-Saatgut erst angelegt, wenn die Zulassung dieser Sorte in die Beschreibende Sortenliste erfolgt ist, bzw. diese Sorte bereits in der EU eine Zulassung hat. Der Einstieg in eine großflächige Vermehrung noch vor einer offiziellen Zulassung ist aus nachvollziehbaren Gründen die Ausnahme.

Ein Beispiel aus der Praxis soll zeigen, dass es aber von sehr großem Nutzen für alle Beteiligten – Züchter, Handel und Vermehrungsbetrieb – sein kann, wenn mit einem gut durchdachten Konzept eine Sorte sehr früh „ins Rennen“ schickt wird.


In unserem Beispiel ist sich die SAATEN-UNION bereits nach dem zweiten Wertprüfungsjahr und intensiver Sortenprüfung in eigenen produktionstechnischen Versuchen sicher, einen Top-Kandidaten auf dem Weg zu wissen. Das Profil eines B-Weizens stach heraus: vergleichsweise frühe Reife in Kombination mit einem offensichtlich sehr hohen Ertragspotenzial, einer herausragenden Ährengesundheit und bester B-Qualität. Dieses Profil überzeugte nicht nur den Züchter, sondern auch die BSL Betriebsmittel Service Logistik GmbH & Co. KG (im Folgenden BSL), in deren Portfolio diese Sorte ebenfalls gut passt. So hat sich die SAATEN-UNION entschieden, die Sorte „Porthus“ gemeinsam mit der BSL einzuführen.


Erste Praxiserfahrungen entscheiden über die Markteinführung

Für den Erfolg einer Sorte ist es wichtig, dass die ersten Praxiserfahrungen positiv sind. Diese werden systembedingt auf den Vermehrungsbetrieben gesammelt, daher ist die sorgfältige Auswahl der „Erstvermehrer“ entscheidend. Sie sollten erfahren sein, eine hohe Anerkennungsquote vorweisen können und zudem eine unproblematische Fruchtfolge mit geringem Durchwuchsrisiko haben.

Die BSL kontaktierte ihre Wunschkandidaten frühzeitig und stellte ihnen umfangreiches, gesichertes Datenmaterial zur Verfügung. Diese Daten lieferten im Fall Porthus nicht nur die Wertprüfungen, sondern auch die intensiven Sortenprüfungen des Züchters. Hier werden neue Sorten in einem Feld von Vergleichssorten unter den verschiedenen Fruchtfolge- und Anbaubedingungen geprüft. Es kristallisieren sich sortenspezifische Eigenschaften heraus und daraus lässt sich eine sortenspezifische Bestandesführung ableiten. Derartige Erkenntnisse wiederum stellen die Basis für den Praxiserfolg dar. 

praxisnah sprach mit zwei Vermehrungsbetrieben über ihre Erfahrungen.


I Betrieb Menzel/Meilsdorf in Schleswig-Holstein

Bianca Giese (HaGe), Lutz-Frederik Menzel, Carsten Schmidt (BSL)
Bianca Giese (HaGe), Lutz-Frederik Menzel, Carsten Schmidt (BSL)
Die Vermehrung von Raps und später auch von Wintergerste und -weizen hat auf dem Betrieb von Lutz-Frederik Menzel eine über 30-jährige Tradition. Während die Logistik nach Angaben von Lutz-Frederik Menzel kontinuierlich verbessert wurde, ist das persönliche Verhältnis zur Hauptgenossenschaft Nord AG (im Folgenden HaGe) unverändert gut. Seit mehr als 20 Jahren wird der Betrieb vom Mitarbeiter der HaGe, Walther Greve, als direkter Ansprechpartner in Sachen Vermehrung, beraten. Dieser wiederum erhält seine sortenbezogenen Spezialinformationen besonders zu Beginn der Lebenszeit einer Sorte vom Züchter direkt, aus den Wertprüfungen und ggf. aus ersten Sortentests im Feld.


Enger Kontakt mit dem Handelspartner

„Insgesamt ist der Kontakt enger geworden, besonders wenn es sich um erklärungsbedürftige Sorten handelt, die noch nicht so „gelernt“ sind oder von der Norm abweichen. Wenn ich konkrete Fragen habe, ist das meine Anlaufstelle“, beschreibt der Agrarbetriebswirt sein Verhältnis zu dem Berater kurz und knapp, das seit 20 Jahren durch großes Vertrauen geprägt ist. Hinzu kommt, dass auf dem Hof für verschiedene Kulturen eigene Sortenversuche in Zusammenarbeit mit Züchtern und Handel angelegt werden, die – wenngleich es sich nicht um Exaktversuche handelt –doch deutlich die Sortenunterschiede widerspiegeln.

 „Vermehrung war und ist ein wichtiger Betriebszweig, natürlich vor allem aus ökonomischen Gründen. Aber man vermehrt ja in der Regel auch keine schlechten Sorten, sondern solche, die in der Praxis nachgefragt werden. Gute Sorten bleiben nicht selten 5–6 Jahre bei uns in der Vermehrung. Im dritten Jahr spätestens hat man den Bogen raus und dann macht so eine Vermehrung auch Spaß und vergleichsweise nicht mehr Arbeit als ein „normaler“ Bestand“, sind seine Beweggründe für die Vermehrung.
 „Mit einigen Hektar ist auch meist eine ganz neue Sorte mit dabei, die man dann schon genauer beobachten muss, um den Bestand optimal zu führen. Aber dafür profitiert man als Erster von dem Zuchtfortschritt, wegen dem die Sorte ja vom Bundessortenamt zugelassen wird.“


Gesunde Halmbasis
Gesunde Halmbasis
Gute Vorbereitung vor der ersten Aussaat

Als sein Händler ihm nun 2015 erstmalig eine noch gar nicht zugelassene Sorte anbot, war er aufgrund der fehlenden Praxiserfahrung zunächst zurückhaltend. Auch wenn die finale Zulassung sehr wahrscheinlich war. Allerdings waren die Wertprüfungsergebnisse der B-Weizensorte Porthus sehr gut und die gezeigten Sorteneigenschaften wie frühere Reife, Fallzahlstabilität und Gesundheit passen gut zum Betrieb. Nach dem Sichten aller Informationen, die vom Züchter und der BSL zur Verfügung gestellt wurden, war Lutz-Frederik Menzel klar: „Da gab es eigentlich im Vorfeld nichts zu ergänzen und man ging gut vorbereitet an die Sache ran.“ 

„Bis jetzt sieht die Sorte top aus“, kann er zum Zeitpunkt des Gespräches im Mai nur bestätigen. „Der Bestand ist gesund, hat den späten Frost im April hervorragend überstanden und präsentiert sich geschlossen.“ Die aktuell auf dem Feld beprobten Pflanzen mit vier gleichmäßig angelegten Seitentrieben und ausgezählten 20–22 angelegten Spindelstufen lassen auf hohe Erträge hoffen.

Betriebsspiegel Menzel / Siek / Schleswig-Holstein

Natürliche Ausstattung:
Jahresniederschlag: 750 mm
Ackerland: sL: 40–50 Bodenpunkte
Gesamtfläche: 164 ha LN
Ackerland (in Siek, Braak und Reinbek): 75 ha
Grünland (natürlich): 18 ha

Ackerbau, aktuell:
Winterweizen 24 ha / Wintergerste 31 ha /
Raps 21 ha / Ackerbohnen 4 ha / Silomais 31 ha / Ackergras 5 ha / Grünland 43 ha
Tierbestand: 90 Milchkühe, 42 Mastbullen


II Gut Siggen/ACT Land- und Forstwirtschaft GmbH

Auch auf Gut Siggen hat die Vermehrung von Z-Saatgut für die HaGe eine jahrzehntelange Tradition. Ein wichtiger Bestandteil dieser Zusammenarbeit ist ein konstruktives Miteinander.


Carsten Schmidt (BSL), Bianca Giese (HaGe), Thomas Walch
Carsten Schmidt (BSL), Bianca Giese (HaGe), Thomas Walch
Sorte muss zum Betrieb passen

„Das geschäftliche Verhältnis war schon immer ein Geben und Nehmen auf Augenhöhe. Und es hat sich auch fast immer bestätigt, dass der Sortenmarkt richtig eingeschätzt wurde und es daher eigentlich nie Absatzprobleme gab“, blickt Thomas Walch zurück. „Für mich ist bei der Vermehrung ganz wichtig, dass die Sorte auf den Betrieb passt. Da muss man sich im Vorfeld mit der Sorte kritisch auseinandersetzen. Denn eine Sorte muss einerseits ins Portfolio des Händlers und zu dessen Vermarktungsstrategie passen und andererseits natürlich auch zu meinen Standorten, meiner Fruchtfolge und meinen Betriebsabläufen. Mir ist eine gute Fallzahlstabilität wichtig, denn sie bedeutet ein breiteres Erntefenster und generell ein geringeres Qualitätsrisiko. Und die Winterfestigkeit sollte ausreichend sein. Immer wichtiger wird auch die N-Effizienz: Wenn die Sorte proteinstark ist, kann man auch auf einen Doppelzentner verzichten. Zumal bei schlechten Preisen/dt die Qualität immer wichtiger wird.“

Auf Gut Siggen sind aus arbeitsorganisatorischen Gründen nur maximal drei bis vier Sorten pro Kultur im Anbau, wobei der Schwerpunkt klar auf bewährten bzw. bekannten Sorten liegt. „Man braucht zwei Vegetationen, um eine Sorte gut einschätzen zu können. Dann läuft sie im normalen Betriebsablauf mit und birgt auch kein höheres Anbaurisiko mehr. Bei neuen Sorten, bei denen noch keine Erfahrungen vorliegen, ist dieses Risiko höher und man muss genauer hinschauen und ausprobieren. Schließlich will ich das Optimale für diesen Standort und diese Fruchtfolge herausholen. Daher ist der Anbauumfang für ganz neue Kandidaten im ersten Jahr nie sehr groß. “ Bei Porthus profitierte er von den Sorteninformationen, die die HaGe und SAATEN-UNION ihm zur Verfügung stellten bzw. die auf einer Informationsveranstaltung vermittelt wurden. Zudem besteht während der Saison immer die Möglichkeit, sich z. B. bei dem für Schleswig-Holstein zuständigen Mitarbeiter der SAATEN-UNION Andreas Henze und bei Bianca Giese, Produktionsleitung SGA der HaGe Lensahn, einen Rat einzuholen.


Ährenanlagen wie diese lassen auf ordentliche Erträge hoffen.
Ährenanlagen wie diese lassen auf ordentliche Erträge hoffen.
Vermarktungsindex liefert wichtige Informationen

Umso gespannter beobachtet Thomas Walch – zusammen mit Bianca Giese und Carsten Schmidt, Produktmanager Saatgut der BSL – den Neuling jetzt auf dem Feld. Wie viel Potenzial hat die Sorte? Wie verhält sie sich bei klimatisch oder produktionstechnisch bedingten Störungen? Das erste Jahr ist das entscheidende: „Wenn sich im ersten Jahr zeigt, dass es nicht läuft, ist die Sorte nach einem Jahr bei mir wieder raus“, da gelten klare betriebswirtschaftliche  Vorgaben. 

Die BSL hat jetzt einen Vermarktungsindex für die von ihr vermehrten Sorten entwickelt, der sich dann auch auf den Sortenschildern wiederfinden wird: Dieser Index setzt sich aus der Widerstandsfähigkeit gegen Ährenfusarium, der Standfestigkeit, dem Rohproteingehalt und der Fallzahlstabilität sowie der Winterfestigkeit zusammen. Aus diesen Parametern lässt sich auch produktionstechnisch viel ableiten, wie Düngestrategie, Wachstumsreglerbedarf etc.

Im Fall der Neuzulassung Porthus ist geplant, die Anbaudaten der Vermehrungsbetriebe nach der Saison zu interpretieren, um damit die Anbauempfehlungen zu verfeinern.

Eines ist allen Beteiligten klar: Aus keiner Sorte lässt sich allein mit Standardmaßnahmen das Optimum in Ertrag und Qualität herausholen. Je sortenspezifischer der Bestand geführt wird, desto größer der Erfolg. Und – wie Walch es treffend formuliert: „Die Praxis wird zeigen, welche Sorte sich durchsetzt.“ 

 

Carsten Schmidt und Dr. Anke Boenisch

 

Betriebsspiegel: Gut Siggen / ACT Land- und Forstwirtschaft GmbH

Natürliche Ausstattung:
Jahresniederschlag: 550 mm p.a. (450–680)
Bodenart: sL, 68 Bodenpunkte (40–75)
Gesamtfläche: 977 ha
Forst: 120 ha
Grünland: 27 ha

Ackerbau, aktuell:
Winterweizen 482 ha  / Winterraps 265 ha  /
Wintergerste 102 ha / Energierüben 67 ha / Brache und Schonstreifen 61 ha
Arbeitskräfte: 2 ständige AK, 5 Saisonkräfte

 

 

Stand: 28.06.2016