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„Den gesamten Komplex im Auge behalten“

Zwischen Sortenentwicklung und Technologie sieht der Weizenzüchter Dr. Andreas Spanakakis „eine dynamische Wechselwirkung, die den Fortschritt in beiden Bereichen maßgeblich fördert“. Laufende Entwicklungen auf dem Technologiesektor führen zur Formulierung neuer Zuchtziele, die sich in neuen, besser angepassten Sorten niederschlagen. Dabei hat der Züchter nicht allein die Erntetechnik, sondern den gesamten Produktions- und Verwertungskomplex im Auge zu behalten.

So hat beispielsweise bei Weizen die industrialisierte Backwarenherstellung und veränderte Rahmenbedingungen in der Müllereitechnologie die Züchtung veranlasst, Merkmalskomplexe wie Teigverhalten, Knettoleranz, technologische Verarbeitbarkeit, Vermahlungseigenschaften und viele andere Qualitätsmerkmale in die züchterische Selektion zu integrieren. Dadurch war es in den vergangenen Jahrzehnten möglich, Sorten mit problemlosen Verarbeitungseigenschaften zu züchten, die Mahlfähigkeit der Sorten kontinuierlich auf ein hohes Niveau von heute ca. 80% Mehlausbeute T550 zu steigern und die Qualität der Weizenmehle zu verbessern.

Bildquelle: SAATEN-UNION, Ernte Gut Granskevitz.
Bildquelle: SAATEN-UNION, Ernte Gut Granskevitz.
Impulse der Sortenentwicklung in Richtung Technik und Technologie
Umgekehrt gehen von der züchterischen Sortenentwicklung gravierende Impulse in Richtung Technik und Technologie aus: So müssen wir uns zunächst vergegenwärtigen, dass erst die enormen Ertragsfortschritte die Möglichkeiten und bisweilen die Notwendigkeit der alternativen Verwertung von Weizen geschaffen haben. Entsprechende Bewertungen der Sortenmerkmale ermöglichen aktuell die gezielte Sortennutzung in der Stärkeproduktion oder bei der Erzeugung von Bioethanol, die Sorte Ephoros beispielsweise wird hierfür offiziell empfohlen. Für die thermische Nutzung der Weizensorten lassen sich wiederum neue, zum Teil gegensätzliche Anforderungen hinsichtlich Biomasse, Stickoxide und andere Merkmalen ableiten.

Erfolge in der Züchtung auf Trockenheitstoleranz haben die Produktionsmöglichkeiten für Weizen auf Sandstandorten und in Trockengebieten erweitert.

Die Züchtung auf Stickstoffeffizienz hat zur ständigen Verbesserung der Stickstoffverwertung und somit zur Steigerung der Produktivität geführt, auch in Gebieten mit eingeschränkter Stickstoffverfügbarkeit.

Züchterische Maßnahmen haben die Proteinqualität verbessert, die negative Korrelation zwischen Ertrag und Qualität abgeschwächt und dadurch unverzichtbare ökologische und ökonomische Vorteile in die Qualitätsweizenproduktion gebracht.

Die Züchtung von WeW®-Wechselweizensorten mit angepassten Qualitäts- und Resistenzeigenschaften haben die Saatzeitflexibilität verbessert und damit die arbeits- und betriebswirtschaftlichen Spielräume erweitert.

Besonders wertvolle Impulse gehen jedoch vom deutlich verbesserten Gesundheitswert der Sorten aus. Dieser beschreibt sortenspezifisch die Gesamtheit der kombinierten Resistenzeigenschaften gegen eine Vielzahl von wirtschaftlich relevanten, pilzlichen Krankheiten. Die Nutzung der gesunden Sorte im Produktionsprozess führt längerfristig zu einer Verringerung des allgemeinen Infektionspotentials. Die gesunde Sorte ist Voraussetzung für die Produktion gesunder Rohstoffe und einer einwandfreien Verarbeitungsqualität. Sie vermittelt weit reichende Flexibilität in der Anwendung der Fungizidmaßnahmen (Zeitpunkt, Präparatwahl, Menge) und führt insgesamt zu deutlich reduzierten Pflanzenschutzkosten. Erst über eine breit abgesicherte Sortengesundheit können in der Produktionstechnologie unter riskanteren Anbauvoraussetzungen (enge Fruchtfolgen, nichtwendende Bodenbearbeitung, Frühsaaten, höhere Stickstoffdüngung usw.) Produktivitätssteigerung überhaupt wahrgenommen werden.

Abb. 1: LSV Ost 2005 D-Standorte
Abb. 1: LSV Ost 2005 D-Standorte
Das Ergebnis kann sich sehen lassen
Eindrucksvoll demonstriert die Darstellung von beispielhaft ausgesuchten Landessortenversuchsergebnissen der Abb. 1 den aktuellen Stand der Sortenzüchtung in Deutschland. Im Durchschnitt aller Sorten stellt der Vergleich der absoluten Erträge mit und ohne Fungizide einen genetischen Anteil der Sorten von ca. 90 % am Gesamtertrag bei sonst gleichen Anbauvoraussetzungen dar. Am Beispiel der diluvialen Standorte in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich, dass moderne Sorten, wie z.B. Akratos (AKR) und Ephroros (EPH) erhebliche Produktivitätsvorteile für diese Regionen aufweisen können. Diese sind auch auf die Erfolge der Züchtung auf Trockenheitstoleranz zurückzuführen, die die Produktionsmöglichkeiten für Weizen in den entsprechenden Gebieten erweitert haben.

Die Erntetechnik wird sich anpassen
Wenn also im Zusammenhang mit der Entwicklung der Erntetechnik die „sortenspezifische Mähdruscheignung“ als neues Zuchtziel gefordert wird, so ist dies bei Beachtung aller Züchtungserfolge und der vielfältigen Anforderungen, die eine Sorte zu erfüllen hat, zu relativieren.

Die Erntesicherheit als wesentlicher Faktor von Produktivität und Qualitätssicherung war immer integrierter Bestandteil züchterischer Aktivität. Sie hat durch ständige Verbesserung der Merkmale Standfestigkeit, Strohlänge, Auswuchsfestigkeit, Korn-Strohabreife, Reifezeit und vor allem der Blatt- und Ährengesundheit bereits einen sehr hohen Stand erreicht. Das Angebot von kürzeren, standfesten, sehr gesunden und leistungsfähigen Qualitätssorten steht auch zukünftig im Vordergrund züchterischer Bemühungen. Daran wird sich nichts ändern. Die Erntetechnik wird sich automatisch dieser Entwicklung anpassen. Angesichts des mittlererweile sehr hohen Ertragsniveaus, das in einzelnen intensiven Regionen regelmäßig die 100 dt/ha überschreitet, wird sich der Mähdrusch an die jeweilige Bestandessituation anpassen müssen.

Dr. Andreas Spanakakis

Stand: 01.04.2006