Aktuelle Ausgabe 02/2024

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Pflanzenproduktion im Klimawandel V: „Getreide führen heißt Getreide verstehen.“

Im letzten Teil dieser Artikelserie geht es um die Produktionstechnik im Klimawandel. Mit welcher Anbauintensität fährt man am besten und auf welche Maßnahmen kommt es jetzt an?

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Trotz häufigerer trockener und heißer Jahre mit schwachen Ernten bleibt Mitteleuropa im internationalen Vergleich ein Gunststandort. Die Bodennutzungskosten, Betriebsmittel sowie Löhne haben sich jedoch empfindlich verteuert. Hinzu kommt die GAP-Reform 2023 mit weiteren Schritten zur Ökologisierung der Landwirtschaft. Dafür steigen die Chancen auf der Vermarktungsseite. Nach jüngsten Erkenntnissen werden weltweit Mais, aber auch Reis und Soja ertraglich stärker unter dem beschleunigten Klimawandel leiden als bisher angenommen. Diese Entwicklung könnte über steigende Risikoprämien zu einer längerfristigen Preisfestigung beitragen. Was bedeutet diese Gemengelage für den Pflanzenbau und dessen Anbauintensität?


Auf der Ertragsseite drohen ja nicht nur Ertragsdepressionen durch den Klimawandel, auch der zunehmend limitierte Einsatz von Düngung und Pflanzenschutz führt zu einer niedrigeren und flacheren Ertragskurve. Abb. 1 unterstellt einfachheitshalber, dass das Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs auch für die Produktionskosten insgesamt gilt, die im grünen Szenario trotz geringerer Erträge aufgrund höher Umweltauflagen (Greening etc.) gleich hoch sind. Die optimale spezielle Intensität ist dann erreicht, wenn der zusätzliche Aufwand je Produktionseinheit dem zusätzlichen Nutzen entspricht. Im Beispiel wäre aktuell ein Aufwand von 1.250 €/ha zu vertreten, ohne Ertragsbremsen 1.300 €/ha.

Die Direkt- und arbeitskostenfreie Leistung würde von gut 800 auf 600 €/ha sinken, was über einen Preisanstieg von 2,20 Euro/dt aufgefangen werden könnte.


optimale Anbauintensität

optimale Anbauintensität


Welche Anbauintensität lohnt sich jetzt?

Bei Anpassungen der Intensität geht es heute weniger um Düngung und Pflanzenschutz, die verbleibenden Möglichkeiten liegen hier meist unter dem betriebswirtschaftlichen Optimum. Die Fragen lauten vielmehr: Wie viel investiere ich in innovative Genetik, gelungene Zwischenfrüchte oder präzisere Technik? Gehe ich täglich oder wöchentlich durch meine Bestände? Wie viel lasse ich mir anspruchsvolle Beratung kosten?

Sinkende Preise und Erträge sowie steigende Kosten empfehlen theoretisch eine geringere Intensität, gegenteilige Entwicklungen eine höhere. Praxistypisch sind jedoch zunehmende Schwankungen auf der Ertrags- und Erlösseite, die sich erst nach der Ernte herausstellen. Betriebswirtschaftlich gesehen empfehlen steigende Volatilitäten keine Änderung der Anbauintensität. Allerdings leidet die Effizienz und damit auch der Gewinn: In guten Jahren wird dessen Potenzial nicht ausgeschöpft, in schlechten Jahren Faktoraufwand verschwendet!

Am lohnendsten sind ertragssichernde bzw. -steigernde Maßnahmen ohne Mehrkosten, angefangen bei der Saatzeit. Diese entscheidet maßgeblich über die Ertragsbildung der Pflanzen sowie deren Widerstandsfähigkeit gegenüber biotischem und abiotischem Stress! Es lohnt nicht mehr, in Großbetrieben Teilflächen bewusst zu früh bzw. zu spät zu säen, um die Drilltechnik besser auszulasten. Die damit verbundenen Terminkosten – resultierend aus den höheren Anbaurisiken – steigen über die eingesparten Maschinenkosten: Denn es gibt heute kaum noch Möglichkeiten, überwachsene bzw. dünne Bestände über Pflanze­n­schutz und Düngung gesund zu halten, zu bremsen oder zu fördern.


Pflanzen führen heißt Pflanzen verstehen

In einem Kulturpflanzenbestand mit genetisch identischen Hochleistungspflanzen mit gleichen Bedürfnissen zu jedem Zeitpunkt herrscht extremer Wettbewerb nach Raum, Licht, Wasser und Nährstoffen. Welche pflanzenbaulichen Konsequenzen lassen sich daraus ableiten?

In Abb. 2 zeigt die Jugendentwicklung einer Getreidepflanze ohne Konkurrenz und Mangel: Zeitgleich mit der Entwicklung des 3. Blatts wird der erste Bestockungstrieb angelegt, erscheinend zusammen mit dem vierten Blatt in EC 21. Mit jedem weiteren Blatt des Haupttriebes erscheint ein zusätzlicher primärer Bestockungstrieb, der seinerseits ab dem 3. Blatt fortlaufend sekundäre Bestockungstriebe bildet usw. Erst der Langtag stoppt diese exponentielle vegetative Entwicklung und leitet mit dem Schossen den Übergang in die generative Phase ein. Die Triebentwicklung bis dahin steht in linearer Beziehung zur Temperatursumme, gemessen in Gradtagen (°Cd). Eine neue Blatt- bzw. Triebgeneration erfordert zwischen 60 und 100 °Cd, je nach Studie und Basistemperatur1. Hier werden die Werte der N. U. Agrar herangezogen: 90 °Cd für die Keimung und dann 70 °Cd für jede weitere Blattgeneration – ohne Basistemperatur, dafür werden nur Tage über 5 °C berücksichtigt.

Ab dem dritten Blatt bilden die Triebe eigene Kronenwurzeln, wachsen also eigenständig und können Ähren bilden. Jüngere Triebe werden bei Licht-, Wasser- und Nährstoff­stress schnell reduziert, die resorbierten Nährstoffe gehen zurück an die Muttertriebe. Kräftige, bereits bewurzelte Nebentriebe werden dagegen nicht reduziert und überleben selbst bei Nährstoffmangel und Dürre bis zur Schossphase. Dann, bei maximaler Konkurrenz zwischen Trieben, Ährchen und Blütchen, stören sie sich gegenseitig in der Entwicklung und verschwenden noch als unterständige Ähren Wasser und Nährstoffe.


Jugendentwicklung Getreide

Jugendentwicklung Getreide


Entbehrung in der Jugend gehört dazu

Am effizientesten ist eine kräftige Jugendentwicklung bis etwa BBCH 23, also dem dritten Bestockungstrieb. Weitere Triebgenerationen sollten in ihrer Ausbildung zurückbleiben bzw. möglichst früh abgestoßen werden. Eine „verständnisvolle“ Bestandesführung kann diese Bestandesarchitektur unterstützen: mit ausreichend dicht stehenden, gleichmäßig entwickelten Pflanzen bei nicht zu üppiger N-Versorgung. Dann haben spätere Triebgenerationen kaum Entwicklungschancen. Moderater Mangel bzw. etwas Stress in der Jugend sind also wichtig für die Entwicklung idealer Pflanzenbestände. Dazu gehören auch „Kinderkrankheiten“ im Blattbereich, vor allem Schwächeparasiten wie Typhula und Schneeschimmel.


Sommerungen profitieren von früheren Saaten

Bei den phänologischen Jahreszeiten des Deutschen Wetterdienstes beginnt der Frühling mit der Blüte von Forsythie und Buschwindröschen. Im langjährigen Trend seit 1950 setzt diese Entwicklung alle fünf Jahre um einen Tag früher ein. Profitieren können davon vor allem Sommer­getreide und heimische Leguminosen. Aufgrund der kürzeren Jugend ist deren Bestandesdichte und Einkörnung labiler als die der Winterformen. Mit früherem Vegetationsbeginn können sie zeitiger bestellt werden, ohne Auflauf- und Entwicklungsprobleme zu riskieren. Mit der längeren Vegetation im Kurztag verringern sich die Entwicklungsnachteile gegenüber den Winterformen, die Erträge könnten sich zukünftig annähern! Auch Mais, Zuckerrüben und Soja werden heute zeitiger gesät, Wärmebedürftigkeit und Frostrisiken erlauben jedoch keine weitere Verfrühung. Getreide benötigt je nach Art zur Keimung hingegen nur ein bis vier Grad Celsius. Das weitere Wachstum setzt bereits bei drei bis fünf Grad ein, moderate Minustemperaturen sind kein Problem.


Wintergetreide eine Woche später drillen

Für die Herbstaussaat ist die phänologische Uhr hingegen nicht brauchbar. Das Vegetationsende, – definiert als Blattfall der Stieleiche, – hat sich im betrachteten Zeitraum um einen Zehnteltag jährlich nach hinten verschoben. Dürre­stress im Sommer oder Frühherbst beschleunigt jedoch die Alterung und damit auch den Beginn des phänologischen Winters. Hilfreicher als die Temperaturhistorie sind die Mitteltemperaturen. In Tab. 1 gehen in das Gebietsmittel alle Wetterstationen ein, auch Höhenlagen. In den typischen Ackerbaugebieten liegen die Werte um etwa 0,5 °C höher.

Der Oktober ist für die Herbstentwicklung entscheidend, danach sind bei zunehmender Abkühlung steigende Temperaturen unter der Wachstumsschwelle von 5 °C unerheblich. In den letzten fünf Jahren waren die Oktober im Mittel um 1,3 °C wärmer als 1981 – 2010, die Temperatursumme stieg damit um 40 °Cd. Bei einer Aussaat am 1. Oktober entspräche das – in Verbindung mit einigen wärmeren Tagen Anfang November – etwa einem BBCH-Stadium mehr Entwicklung. Konkrete Empfehlungen für die sehr unterschiedlichen Anbauräume Deutschlands sind daraus nicht abzuleiten, übergreifende Trends schon:

  • Bei Weizen wäre aus dieser Entwicklungsbeschleunigung eine Saatzeitverschiebung um etwa fünf Tage gegenüber dem Vergleichszeitraum zu begründen, hinzu kommt der um etwa drei Tage frühere Vegetationsbeginn. Dieser ist bei Weizen im Hinblick auf die längere Ährendifferenzierung und damit bessere Einkörnung voll anzurechnen. Zusammengenommen hätte sich damit in den letzten 30 Jahren das regionale Saatzeit­optimum um etwa 8 Tage nach hinten verschoben. In milden Lagen mehr, in rauen Lagen weniger.
  • Anders als Weizen kann Roggen nur zwei Körner je Ährchen bilden, Gerste nur eines. Zudem wachsen beide Arten im Frühjahr etwa zwei Wochen weniger im Kurztag. Eine frühzeitige Ährendifferenzierung ist deshalb entscheidend für die Ertragssicherheit. Gerste generell, Roggen auf Trockenstandorten sollten deshalb eher BBCH 24 vor Winter erreichen. Gerste nutzt zusätzlich einige wärmere Septembertage, Roggen hat einen geringeren Energiebedarf. Daraus lassen sich, bezogen auf die vergangenen 30 Jahre, etwa sechs Tage späterere Saatzeitoptima folgern.
  • Von den späteren Saatterminen profitiert auch die Anbausicherheit: Sie sind eine wirkungsvolle „Escape-Strategie“ gegenüber Viren, Pilzen und diversen Fraßschädlingen, auch Ungräser werden wirkungsvoll zurückgedrängt, die Winterfestigkeit und Standfestigkeit gefördert.
  • Die Tendenz zu immer dünneren Saaten ist vorbei: Einerseits wegen der Abkehr von sehr frühen Bestellterminen, andererseits für eine bessere Kontrolle der vegetativen Entwicklung bei kürzerer Winterruhe. Denn mehr Konkurrenz zwischen enger stehenden Pflanzen bremst die Entwicklung der später angelegten Bestockungstriebe. Zudem steigt mit höheren Saatstärken der Anteil der ertragsstabileren Haupttriebe mit ihrer anfangs tiefer reichenden Keimwurzel. Faustformel bei optimaler Bestellung: Weizen 45 %, Gerste 40 %, Roggen 35 % keimfähige Körner/m² bezogen auf die angestrebte Bestandesdichte.


Düngung und Pflanzenschutz mit dem letzten Blatt abschließen

Düngung und Pflanzenschutz sollten das Anpassungsvermögen der Pflanze nicht unnötig stören. Bei Trockenheit bremst das Stresshormon Abscisinsäure das oberirdische Wachstum, auch von den Wurzelspitzen kommen weniger Wachstumssignale. Erst bei feuchtem Boden bilden diese wieder verstärkt das Wachstumshormon Cytokinin. Den gleichen Effekt hat Nitrat! Menge, Termin und Form der N-Düngung haben damit erheblichen Einfluss auf ein harmonisches Spross/Wurzel-Verhältnis. Das Gleiche gilt für Fungizide und Wachstumsregler im Hinblick auf eine harmonische Abreife:

  • Vor allem die Winterungen Gerste und Roggen brauchen aufgrund ihres frühen Bedarfs i. d. R. auch zukünftig eine ausreichend bemessene, rechtzeitige N-Startgabe. Bei Sommergetreide wirkt ein frühzeitiges hohes Nitratangebot entwicklungsbeschleunigend, auch hier also startgabenbetont düngen.
  • In überwachsenen Wintergetreide-Beständen kann die Triebreduktion beschleunigt werden, indem die Startgabe verschoben oder gleich mit der Anschlussgabe zusammenfasst wird. Aufgeteilt folgt Letztere erst zum Einknotenstadium. In schwächeren Beständen muss Nitrat früh und ausreichend für die Triebentwicklung bereitstehen. Die Anschlussdüngung fällt dann triebstabilisierend Ende der Bestockung, mit Ammonium- bzw. Harnstoff auch hier entsprechend früher.
  • Die Abschlussdüngung sollte bei Trockenstress mit dem Erscheinen des letzten Blattes ausgebracht sein. So wird der Stickstoff effizient und damit umweltfreundlich genutzt und spätere Stickstoffschübe stimulieren nicht zusätzlich das vegetative Wachstum. Dies würde die generative Entwicklung verzögern – und damit auch die notwendigen Umlagerungsvorgänge im Verlauf der Kornfüllung.
  • Aus diesem Grund sind in Trockenlagen ab BBCH 39 auch keine Fungizide mit Greeningeffekt mehr auszubringen (v. a. Triazole und Strobilurine). Diese hemmen die Bildung des Abreifehormons Ethylen und verlängern auf diese Weise ebenfalls die weitere Entwicklung. Ausnahme ist die Fusariumbekämpfung im Winterweizen. Diese geht ja allerdings i. d. R. mit einem eher feuchten Juni einher, eventuelle Entwicklungsverzögerungen sind dann weniger kritisch zu sehen.
  • Früh eingesetzt verstärkt der Wachstumsregler Ethephon als Ethylenbildner Trockenstress. In BBCH 49 ausgebracht, unterstützt es hingegen die Umlagerungsprozesse zur Kornfüllung. Die übrigen Wachstumsregler gehören zu den Gibberellinhemmern und stören deshalb bei später Applikation die weitere Entwicklung. Für alle Wachstumsregler gilt: Sie verschärfen die reduzierende Wirkung der bei Trockenstress von der Pflanze gebildeten Stresshormone, eine Folge ist z. B. Spitzensterilität.

Selbstregulation der Pflanze unterstützen

Die Produktionstechnik muss für den Klimawandel nicht neu erfunden werden, Kenntnisse um die Entwicklungsphysiologie der Pflanze werden jedoch wichtiger. Denn „Verständnis“ für die Pflanze hilft, mit einer differenzierten Bestandesführung die natürliche Selbstregulation der Pflanzen zu unterstützen: für effizientere Anbauverfahren mit wenig Ressourcenverbrauch und widerstandsfähigere Pflanzen. So bleiben die Stückkosten im Griff – trotz klimatischer und politischer Ertragsbremsen!

Text: Sven Böse |

Fotos: Amazone, Sven Böse

Stand: 21.12.2021