Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Klimawandel: Kann Pflanzenzüchtung einen Schritt voraus sein?

Zunehmende Extremwetterereignisse, Hitzesommer und Einwanderung exotischer Krankheiten und Schädlinge erhöhen den Druck auf unsere Kulturarten. Die Pflanzenzüchtung arbeitet daher mit Hochdruck international u. a. an der Verbesserung von Trocken- und Virusresistenzen.

Dr. Claus Einfeldt, Ackermann Saatzucht, ist mit Blick auf die bereits erzielten Erfolge optimistisch: Pflanzenzüchtung kann dem Klimawandel einen Schritt voraus bleiben.

 

Setzlinge
Setzlinge
Die Ackermann Saatzucht GmbH & Co. KG, Irlbach, Gesellschafter der SAATEN-UNION GmbH, entwickelt Braugersten für europäische und internationale Märkte und arbeitet seit mehreren Jahrzehnten in den verschiedensten Klimaregionen. Wechselnde Umweltbedingungen sind hier schon lange von Relevanz.


Deutliche regionale Unterschiede

In dem Zeitraum 1881 bis 2018 (April bis August) wurde bereits ein Anstieg des Temperaturmittels von 1,4 Grad Celsius gemessen. Ausgehend von diesem Temperaturanstieg und vor dem Hintergrund der erwarteten Auswirkungen des Klimawandels wurden in dem EU-Projekt EWENT (Extreme Weather impacts on European Networks of Transport) zu erwartende Wetterextreme identifiziert, die auch auf die Landwirtschaft übertragbar sind.Neben einem Anstieg der Temperaturen ist demnach auch mit einer Zunahme der Niederschlagsmengen und der Wetterextreme zu rechnen.

Dies allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden:

  1. Jahresmitteltemperaturen: Zunehmender Anstieg von Westen nach Osten – von unter drei Grad Celsius in Westeuropa bis zu über sechs Grad in Nordosteuropa. Dabei sind die britischen Inseln und die maritimen Gebiete in Nordfrankreich, Norddeutschland und Benelux am wenigsten betroffen.
  2. Veränderung der Niederschlagsmenge: Auch hier ist ein zunehmender Anstieg von West nach Nordosten bzw. ein Rückgang im Süden zu erwarten. Während in Frankreich die Niederschlagsmenge fast unverändert bleibt und auf den britischen Inseln und in den Benelux-Staaten eine Zunahme von 5 bis 10 % erwartet wird, ist im restlichen Mittel- und Osteuropa mit einer Zunahme der Niederschläge von 10 bis 30 % Prozent zu rechnen. Für den mediterranen Raum ist dagegen von einer Abnahme der ohnehin niedrigeren Niederschläge von 5 bis 30 % auszugehen.

Niederschlag ist aber nicht gleich Niederschlag: Als Folge des Temperaturanstiegs wird es in den maritimen und gemäßigten Regionen vermutlich häufiger Starkregenereignisse einerseits und Hitzewellen andererseits geben. Außerdem kommen in den maritimen Regionen vermehrt Starkwinde hinzu. Auch in den mediterranen Gebieten sehen wir eine sehr starke Zunahme von Hitzewellen und Starkwinden. Allen Gebieten gleich ist die Abnahme von Frösten.


Folgen für die Gerste

Trockenheit und Hitze sowie veränderte Tag/Nacht-Temperaturen führen zu abiotischem Stress durch Wasser- und Nährstoffmangel, sowie zu vermehrtem Auftreten von Schadinsekten, vor allem Blattläusen und Zikaden als Überträger wichtiger Virosen. Auch ein neues Spektrum bei pilzlichen Krankheitserregern wie Fusarium oder Rice Blast (Magnaporte Grisea – die wirtschaftlich bedeutendste Krankheit der Reispflanze) ist ein denkbares Szenario. Starkwindereignisse können abhängig vom Zeitpunkt und von Niederschlägen zu stärkerer Lagerneigung des Getreides mit all ihren Folgewirkungen führen.

Die Abnahme der Fröste mag auf den ersten Blick positiv erscheinen. In Wirklichkeit fehlt den Pflanzen dann aber eine Abhärtung, sodass sich dennoch auftretende Fröste tendenziell stärker auswirken als früher. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass es zwischen den verschiedenen Stressfaktoren zu (meist negativen) Wechselwirkungen kommen kann.

Im Hinblick auf die generelle Anpassungsfähigkeit und die genetische Diversität als Grundlage für zukünftige Anpassung an veränderte Umweltbedingungen steht die Gerste, und hier vor allem die Sommergerste, im Vergleich zu anderen Getreidearten erfreulich gut da. Denn sie ist bereits gut an Trocken- und Hitzestress adaptiert, und als Sommerung spielt die Frostgefahr kaum eine Rolle.


Primäre Zuchtziele

Aus unserer internationalen Erfahrung und der im vorigen Kapitel angestellten Betrachtung der züchterischen Konsequenzen des Klimawandels ergeben sich für uns folgende Zuchtziele:

  1. Verbesserung der Wasserversorgung durch ein besseres Wurzelsystem, bessere Wasserverwertung durch angepassten Stoffwechsel und eine Anpassung des Wachstumszyklus an Perioden mit ausreichender Wasserverfügbarkeit
  2. erhöhte Nährstoffeffizienz
  3. Resistenz gegen BYDV (Gerstengelbverzwergung) und WDV (Weizenverzwergung)
  4. Anpassung der Wachstumszyklen, um eine zeitliche Koinzidenz mit Stress möglichst zu vermeiden
  5. Trockenstressresistenz: Für dieses Zuchtziel haben wir ein eigenes, sehr umfangreiches, mehrjähriges Forschungsprojekt aufgelegt, in dem wir die Nutzung genetischer Ressourcen (z. B. stressresistente Landrassen, Wildgersten) für Trockenstressresistenz mit Brauqualität kombinieren. Hier kommen moderne Selektionsmethoden wie genomische Selektion und das Metabolitenprofiling zum Einsatz. Dabei werden 800 neue Zuchtlinien über drei Jahre an acht Orten mit und ohne Trockenstress geprüft.

Wurzelmorphologie
Neue Ergebnisse aus Australien zeigen, dass Sorten mit eher senkrecht wachsenden Seitenwurzeln eine bessere Trockenstressanpassung aufweisen. Gleichzeitig wurde ein einfaches Screeningverfahren entwickelt, sodass diese Eigenschaft, für die es im aktuellen Zuchtmaterial ausreichend Sortenunterschiede gibt, auch züchterisch genutzt werden kann.

rechts eine virusresistente Wintergerste
rechts eine virusresistente Wintergerste
Insektenübertragene Viruskrankheiten
Bei den insektenübertragenen Viren haben wir gerade bei der Gerstengelbverzwergungsvirose (BYDV) schon deutliche Fortschritte erreicht. In diesem Kreuzungsprogramm, haben wir nach 18 Jahren mit der Sorte Hirondella die erste BYDV-resistente und von der Industrie akzeptierte Winterbraugerste entwickelt.

Eine weitere insektenübertragene Virose mit zunehmender Bedeutung ist die Weizenverzwergungsvirose, die durch wärmeliebende Zikaden übertragen wird. Hier sind wir an einem Projekt beteiligt, das Resistenzquellen identifizieren soll. Anschließend werden diese mithilfe moderner Methoden in aktuelles Zuchtmaterial eingekreuzt.

Doch auch die Wirksamkeit der bereits verwendeten Resistenzen in den verschiedenen Anbaugebieten muss laufend überprüft werden. Die Informationen aus dem internationalen Prüfnetzwerk laufen in unserem Unternehmen zusammen und helfen, Kreuzungen besser auf Krankheiten und Anbauregion abzustimmen. In einigen dieser Regionen herrschen schon jetzt die Klimabedingungen, die für Nordeuropa vorhergesagt werden. Wir haben daher gute Chancen, dem Klimawandel ein wenig voraus zu sein.


Fazit

Stressresistenz ist ein komplexes, von vielen Genen mit kleiner Wirkung beeinflusstes Merkmal. Daher kann man hier auch keine einfachen Lösungen erwarten. Leider gibt es immer wieder Presseberichte, die genau das suggerieren. Wir sind jedoch zum Beispiel in der Gerstengelbverzwergungsresistenz, in der Erfassung von Wurzelmerkmalen und im Resistenzscreening auf einem guten Weg.


 

Mehr Infos unter: https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/journal/genomische-selektion-aufbruch-ein-neues-zuechtungszeita-1281

https://www.mpimp-golm.mpg.de/metabolitenprofiling

Dieser Artikel ist in einer ausführlicheren Fassung erstmalig erschienen in: Brauwelt Nr. 19 (2020) 491

 

Stand: 14.10.2020