Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Dinkel und Durum: alte Getreidearten – neue Märkte

„Ur“getreide – historisch-botanisch ist der Begriff für die heute wieder aktuellen alten Getreidearten bzw. -sorten kaum zutreffend, denn auch diese sind das Ergebnis selektierender Kultivierung. Aber unter Marketingaspekten macht ein solches Wording durchaus Sinn. Heiko Zentgraf analysiert die Perspektiven alter Getreidearten für glaubwürdige Wertschöpfungsketten vom Acker bis zum Teller.

Dinkelvollkornmehl
Dinkelvollkornmehl
In Zeiten von jugendlicher „Landlust“ und der Rückbesinnung auf traditionelle, regionale Lebensmittel können mit Urgetreide Verbraucherwünsche in neuen Nischen bedient werden. Denn beim Kaufverhalten von Lebensmitteln gewinnen zunehmend Lifestyles an Bedeutung, die Einstellungs-, Verhaltens- und Konsummuster beeinflussen. Urgetreide und die daraus hergestellten Mahlerzeugnisse, Back- oder Teigwaren können hier punkten: Lifestyle-Aspekte wie z. B. Selberbacken, Regionalität, Superfoods oder Achtsamkeit korrespondieren miteinander in einem psychosozialen „Trendnetz“ bzw. sind darin verwoben.


Dinkel
Dinkel
Dinkel: Spelzgetreide mit Urgefühl

Wenn im deutschsprachigen Raum von „Urgetreide“ die Rede ist, ist Dinkel (Triticum spelta) der Trendsetter und die mengenmäßig bedeutsamste Spelzgetreideart. Die ältesten repräsentativ-belastbaren Zahlen zu Anbau und Ernte stammen aus dem Jahre 1878, veröffentlicht in der ersten Ausgabe des Statistischen Jahrbuchs für das Deutsche Reich. In seinen damaligen Territorialgrenzen wurden auf rund 400.000 Hektar Spelz, Emmer und Einkorn angebaut, was 5 % der seinerzeitigen Brotgetreideanbaufläche entsprach. Die Hauptanbaugebiete lagen im heutigen Bundesland Baden-Württemberg und im Freistaat Bayern. In diesen Regionen wachsen auch aktuell nahezu zwei Drittel des deutschen Dinkels. Aus diesen beiden Bundesländern liegen zudem längere Zeitreihen für den Dinkelanbau vor, mit denen sich der positive Trend in Zahlen fassen lässt (s. Abb. 1). Nach den Saatgutvermehrungsflächen von 2019 zeichnen sich zudem erneut Zuwächse ab: Bundesweit werden zzt. auf rund 80.000 ha Dinkel angebaut.


Anbauflächen; Zum Vergrößern bitte anklicken

Anbauflächen; Zum Vergrößern bitte anklicken


Agronomie (1): fünf Pluspunkte für Dinkel

In Deutschland sind gegenwärtig 16 Winterdinkelsorten zugelassen. Für die Anbauentscheidungen der Landwirtschaft sind ökologische und ökonomische Aspekte gleichermaßen von Interesse, hier fünf gute Argumente „pro Dinkel“:

  1. Dinkel ist als Winterspelz sehr robust und kältetolerant.
  2. Die Bodenansprüche von Dinkel sind geringer als bei Weizen und entsprechen etwa denen des Roggens.
  3. Die durchschnittlichen Hektarerträge von bis zu 70 dt können sich sehen lassen; die erzielbaren Erzeugerpreise liegen – je nach aktueller Marktlage – im mehrjährigen Mittel um etwa 25 % über Weizen.
  4. Vielfältige Platzierungsmöglichkeiten in der Fruchtfolge: besonders geeignet sind die Vorfrüchte Raps, Mais, Rüben oder Leguminosen.
  5. Dinkel benötigt in der Regel geringere Düngeintensitäten als Weizen; N-Bedarfswert 190 kg N/ha (bei 80 dt/ha).

Vom Dinkelkern zum Brot

Brot aus Dinkel
Brot aus Dinkel
Dinkel muss immer erst entspelzt werden. Dies erfordert verarbeitungstechnische Voraussetzungen, die heute bundesweit in spezialisierten Betrieben zur Verfügung stehen. Die weitere müllereitechnologische Verarbeitung kann mit geringfügigen Anpassungen auf den üblichen Weizenlinien laufen. Im Produktionsalltag des Backgewerbes machen die heutigen „Backdinkel“-Sorten mit ihren guten Backeigenschaften selten Probleme.

Eine verlässliche Quantifizierung im Sinne von Konsumdaten bleibt auf den weiteren Stufen der Wertschöpfungskette schwierig, u. a. weil schon die Erntemengen nicht differenziert erfasst werden. Die positiven Trendaussagen sind jedoch einheitlich:

  • Die Herstellung von Dinkelmahlerzeugnissen hat sich nach Meldungen an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in den letzten fünf Jahren nahezu verdoppelt: von 90.000 auf 171.000 Tonnen; rein rechnerisch1 stehen sogar rund 250.000 Tonnen für Brot und Backwaren zur Verfügung.
  • Im Lebensmitteleinzelhandel ist Dinkelmehl der Type 630 seit dem Jahr 2016 das führende Spezialmehl.
  • Bei den Broteinkäufen der privaten Haushalte hat sich in den letzten 10 Jahren der Anteil von Dinkelbrot verdreifacht: von ein auf drei Prozent2.
  • Von den bis März 2020 anerkannten 3.196 Brotspezialitäten sind 5,7 % Dinkelbrote3.
  • Für die Vermarktung interessante Hinweise zur Dinkelverarbeitung in der Müllerei liefert eine im Frühjahr 2017 durchgeführte Studie des VGMS (Verband der Getreidemühlen und Stärkewirtschaft e. V.). Von den dabei befragten 44 Mitgliedsmühlen aus allen Regionen des Bundesgebiets wird Dinkel sowohl aus konventionellem wie aus ökologischem Anbau verarbeitet, mit einem Anteil von rund 75 % konventioneller Ware. Für 13 % der Dinkelproduktion wird nur bzw. ganz überwiegend Öko-/Bio-Getreide eingesetzt, weitere 12 % entfallen auf „sowohl als auch“, wobei dann teilweise je nach Produkt(-gruppe) differenziert wird.

Winterdurum
Winterdurum
Durum: der andere „Urweizen“

Hartweizen (Triticum durum) ist eine tetraploide Art aus der Turgidum(„Emmer“)-Reihe, die sich damit in gewissem Sinne „evolutionsgenetisch“ als Urgetreide qualifiziert. Im Gegensatz zu den Spelzweizen spielt Durum auch weltweit eine bedeutsame Rolle für die menschliche Nahrungsversorgung. Mit rund 40 Mio. Tonnen hat Durum einen Anteil von ca. 5 % an der Weltweizenproduktion. Knapp ein Viertel davon stammt aus der Europäischen Union, wobei das „Pastaland“ Italien hier der führende Durumproduzent ist. In Deutschland spielt Hartweizen zwar nur eine vergleichsweise kleine Rolle, aber die heimische Durumernte hat sich in den letzten Jahrzehnten verdreifacht und betrug 2019 157.600 Tonnen. Da die deutschen Hartweizenmühlen jährlich knapp 400.000 Tonnen benötigen, importieren wir Durum – vorwiegend aus Frankreich, Österreich und seinen östlichen Nachbarstaaten sowie Grieße aus Italien.


Agronomie (2): fünf Entscheidungskriterien bei Durum

Aus dem Mittelmeerraum stammend ist Hartweizen traditionell ein Sommergetreide. Für den Anbau in nördlich-kühleren Regionen wurden aber auch frostharte Wintersorten gezüchtet. Die aktuelle Liste des Bundessortenamtes führt 12 Sommer- und 4 Wintersorten. Bei der Anbauentscheidung sind nach vieljährigen Erfahrungen fünf Kriterien zu bedenken:

  1. Hartweizen braucht recht gute Böden, entsprechend wie Weichweizen; sommertrockene Lagen sind zu bevorzugen – das kann in Zeiten des Klimawandels ein Vorteil sein.
  2. Zwar liegen die durchschnittlichen Hektarerträge mit 60 dt/ha niedriger als bei Weichweizen, aber die erzielbaren Erzeugerpreise um 10 € pro dt höher –passende Marktlage und Qualitäten vorausgesetzt.
  3. Durum steht gut in der Fruchtfolge nach Blattfrüchten, aber nicht nach Mais (Fusarien).
  4. N-Bedarfswert: 200 kg/ha (bei 55 dt/ha und 15 % Rohprotein als Zielvorgabe)
  5. Durch Anbau von Winter- und Sommerformen ist eine Erntespreizung möglich, allerdings ist das jeweilige Erntefenster zur Erzielung optimaler „Nudelqualitäten“ mit 2–3 Tagen eng.

Produktvielfalt aus Durum

1. Grieß: Der Hartweizen hat harte und spröde Körner mit einem glasig wirkenden Endosperm, die beim Mahlvorgang leicht zerbrechen. Deshalb eignen sie sich besonders gut für die Grießgewinnung zur Nudelherstellung. Grieße der unterschiedlichsten Qualitäten machen nahezu zwei Drittel der Mahlerzeugnisse aus deutschen Durummühlen aus, hinzu kommen Dunste bzw. (doppel-)griffige Mehle und das (nach DIN-Norm bei Durum einzige) Typenmehl 1600.

Spitzenprodukt für die Nudelherstellung, dem Hauptverwendungszweck, sind die hellen und feinen „SSSE“-Grieße mit Qualitätskriterien, die speziell auf die Anforderungen der Teigwarenindustrie abgestimmt werden: hohe Protein- und Gelbpigmentgehalte, optimale Glasigkeit mit minimalen Stippen für die erwünschte Transparenz und gutes Kochpotenzial für die Bissfestigkeit der Teigwaren. Diese Eigenschaften sind stark sorten- und witterungsabhängig und werden von Abreifeverlauf und punktgenauem Erntetermin beeinflusst.

Der hohe Anteil an Gelbpigmenten sorgt für die gewünschte Farbe der Teigwaren. Durum-Grieße eignen sich auch für Pudding, Auflauf oder Brei und für Kloß- oder Strudelteige. Als Zutat in Backwaren können Durum-Grieße zwei Effekte bringen: Ihre Quellfähigkeit mit stabiler Wasserbindung macht und hält die Krume saftig, die körnigen Partikel liefern ein „bissiges“ Produkt.

2. Mehl: Bei der Herstellung von Hartweizengrieß für die Nudelproduktion fällt immer auch Mehl an, das im Mittelmeerraum für typische Spezialitäten wie Ciabatta oder Foccacia eingesetzt wird. Auch bei uns könnte Durummehl für Backwaren eingesetzt werden, denn geschmacklich und vor allem farblich kann man mit Durum die Gebäcke interessant machen: Die Carotinoide und Gelbpigmente des Hartweizens „färben” die Krume auf natürliche Art.


Nährwerttabelle; zum Vergrößern bitte anklicken

Nährwerttabelle; zum Vergrößern bitte anklicken


Der Autor: Heiko Zentrgraf
Der Autor: Heiko Zentrgraf
Ausblick

Aus landwirtschaftlicher Sicht können alle „Urgetreide“-Arten einen Beitrag zur zivilgesellschaftlich gewünschten Biodiversität leisten: Regionale Vielfalt ist positiv besetzt.

Angesichts des Nischencharakters ist ein partnerschaftlicher Dialog in der Wertschöpfungskette förderlich – und Vertragsanbau sinnvoll. (s. auch www.praxisnah.de/201926)

Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht haben Dinkel- und Durumerzeugnisse ein günstiges Nährstoffprofil (s. Tab. 1) enthalten jedoch auch Gluten. Daraus hergestellte Lebensmittel sind also für Zöliakie-Betroffene bzw. bei Glutenunverträglichkeit nicht geeignet.


1 Modellrechnung auf Basis der InVeKos-Zahlen für 2016/17

2 Nach Angaben des GfK ConsumerScans

3 Nach Zahlen aus dem Brotregister des Deutschen Brotinstituts

Stand: 02.07.2020