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„Wachstumsregler nicht erlaubt!“

Was in Skandinavien schon seit Jahren unerwünscht ist, gerät nun auch bei deutschen Mühlen zunehmend in den Fokus: der Wachstumsreglereinsatz bei Backgetreide.

Ein Verzicht auf Wachstumsregler jedoch erhöht das Produktionsrisiko. Daniel Husmann gibt Tipps, wie sich dieses begrenzen lässt.

Wachstumsregler erhöhen beim Anbau von Backgetreide die Anbau- und Qualitätssicherheit entscheidend. Doch es zeichnet sich ab, dass dieses Hilfsmittel in Zukunft immer häufiger wegfallen könnte. Hier setzt der Norden bereits Zeichen: Obwohl von Rechtswegen erlaubt, ist seit einigen Jahren der Einsatz von Wachstumsreglern in skandinavischen Ländern bei Backgetreide nicht mehr gewollt. Die Ursache dafür ist der Verdacht, dass Wachstumsregler ähnlich wie in Pflanzen auch den Hormonhaushalt des Menschen beeinflussen könnten.


Trend: „Wachstumsregler sind nicht erlaubt“

Obwohl der Verdacht der Hormonbeeinflussung des Menschen durch Rückstände von Wachstumsreglern in Getreide noch nicht wissenschaftlich belegt ist, fordern auch in Deutschland große Mühlengruppen bereits jetzt rückstandsfreie Getreidepartien – Tendenz steigend. Ein weiteres Beispiel sind auch Mälzereien, die seit einiger Zeit keine Braugerste mehr annehmen, die Rückstände von Chlormequatchlorid, dem Wirkstoff aus z. B. CCC 720, aufweist.

Aber auch regionale kleinere Mühlen haben in ihren Pflichtenheften für Vertragsgetreide immer häufiger den Satz stehen „Der Einsatz von Wachstumsreglern ist grundsätzlich nicht erlaubt.“

In Deutschland werden 23 Millionen Tonnen Winterweizen angebaut, wovon 7,5 Mio. Tonnen vermahlen werden. Das entspräche einer Anbaufläche von 1,1 Mio. Hektar, die ohne Wachstumsregler bestellt werden müssten. Die Produktion von Backroggen liegt bei ca. 732.900 Tonnen oder ungefähr 113.000 Hektar Anbaufläche.


Risiko für Ertrag und Qualität

Gerade nach den witterungsbedingt immer häufiger zu beobachtenden Starkregenfällen und Stürmen/Sturmböen ist bei dem Verzicht auf Wachstumsregler mit vermehrtem Lager zu rechnen. Wenn das Getreide dann längere Zeit bodennah ausreift, kann es zu einem höheren Besatz an Mykotoxinen (Fusarium) kommen und auch die Qualitätsparameter Fallzahl und Sedimentationswert werden in der Regel negativ beeinflusst. Schlussendlich ist auch die Ernte massiv erschwert und Verunreinigungen des Erntegutes sind kaum zu vermeiden. Meist ist (früh) lagerndes Getreide nur noch als Futtergetreide nutzbar.


Strohstabile Roggen- und Weizensorten

Strohstabile Roggen- und Weizensorten


Ackerbaulich gegenhalten

Um dem zu begegnen, bieten sich verschiedene Maßnahmen an.

Sortenwahl: Kurze, standfeste und strohstabile Sorten vermindern bei Wachstumsreglerverzicht das Risiko. Tabelle 1 listet die ertragreichsten und strohstabilsten Sorten auf.

Kurze, strohstabile Sorte: Su Selke /r)
Kurze, strohstabile Sorte: Su Selke /r)
Produktionstechnik: Auch eine Anpassung der Produktionsverfahren kann das Produktionsrisiko senken, dazu zählen die Anpassung der Saatstärke, des Saattermins und ein generell geringeres N-Angebot. Stickstoff beeinflusst maßgeblich die Standfestigkeit einer Pflanze – ein Mangel, vor allem aber ein Zuviel, kann die Lageranfälligkeit deutlich erhöhen. Gerade beim Einsatz von organischem Dünger sollte man aufpassen. Wer z. B. in der Düngebedarfsermittlung für Vorfrüchte wie Zuckerrüben, Winterraps oder auch Kartoffeln, nur von den Mindestanrechnungsmengen ausgeht, kann das Lagerrisiko erheblich steigern. Denn in der Realität sind die von der Vorfrucht zur Verfügung stehenden Stickstoffmengen oft erheblich höher. So bieten beispielsweise Kartoffeln eine N-Nachlieferung in einer Größenordnung von ca. 50–100 kg N/ha, die bei der Düngebedarfsermittlung im Frühjahr einbezogen werden sollte. Ähnliches gilt für die Mindestanrechnungsmengen bei organischem Dünger. Hier kommt hinzu, dass die Umsetzungsprozesse im Boden kaum verlässlich zu prognostizieren sind und es im Laufe der Vegetation witterungsbedingt zu einer vermehrten N-Mineralisierung kommen kann.

Eine intensive Bestandskontrolle hilft, die N-Düngung nach Bestandsentwicklung auszurichten. Möglichkeiten dazu bietet die vegetationsbegleitende Nmin-Beprobung oder der Yara N-Tester, der die aktuelle Chlorophyll-Konzentration misst, die eng mit dem Stickstoffgehalt der Pflanze korreliert.

Eine gute Kaliumversorgung der Bestände ist ebenfalls wichtig, denn Kalium ist wesentlich für die Strohstabilität, ein Mangel führt zu höherer Lageranfälligkeit.

Sätechnik: Das Strip-Till-Verfahren oder die Vereinzelungssaat führt im Vergleich zur konventionellen Drillsaat zu einer anderen Bestandesarchitektur: Die intraspezifische Konkurrenz (innerhalb der Reihe) wird größer, jedoch nimmt die interspezifische Konkurrenz (zwischen den Reihen) ab. Dies führt dazu, dass die Einzelpflanzen ein größeres Angebot an fotosynthetisch aktiver Strahlung (PAR) abbekommen. Daher müssen sich die Halme weniger strecken, um an Licht zu kommen. So können Wachstumsregler und auch Fungizidmaßnahmen aufgrund eines verbesserten Mikroklimas durch weitere Reihenabstände eingespart werden. Jedoch haben diese Systeme auch einen großen Nachteil: Die Bodenbeschattung in der Jugendphase ist bei Weitem schlechter als bei der Drillsaat und damit haben Unkräuter und -gräser ein leichteres Spiel. Die Unkraut­bekämpfung muss also intensiver erfolgen.


Es gibt Optimierungsbedarf

Das alles sind sinnvolle Maßnahmen, das Produktionsrisiko von Backgetreide unter Verzicht von Wachstumsreglern zu reduzieren. Nichtsdestotrotz bleibt das Risiko insgesamt erhöht. Bei der Thematik Wachstumsreglerverzicht bei Backgetreide müssten daher nach Meinung des Autoren folgende Maßnahmen erfolgen:

  1. Mögliche Ernteverluste müssen finanziell abgebildet werden. Dazu jedoch ist es notwendig, durch die Anlage von Großflächenversuchen mögliche Ernteverluste aus dem Verzicht auf Wachstumsregler genau zu beziffern.
  2. Außerdem muss eine Risikobewertung der möglichen Rückstände im Backgetreide für den Menschen erfolgen, um nicht nur Risiken klar benennen zu können, sondern auch, um Ängste zu entkräften.
  3. Schlussendlich ist es notwendig, pflanzenbauliche Systeme zur Produktion von Backgetreide ohne Wachstumsregler unter verschiedenen Standortbedingungen zu entwickeln, denn ein sicherer Anbau von Backgetreide ist ohne Anpassung der Produktionsverfahren fast unmöglich.

Fazit

Heißt es also von der aufnehmenden Hand „Wachstumsregler nicht erlaubt“, muss sehr sorgfältig agiert werden: Bei der Sortenwahl ebenso wie bei Standortwahl und Bestandesführung. Hier steht natürlich der Stickstoff besonders im Fokus, aber auch Kalium spielt bei der Standfestigkeit eine wichtige Rolle.

 

"Nach unserer Erkenntnis gibt es zwei hauptsächliche Gründe für die Forderung nach Wachstumsreglerverzicht: Zum einen die Verbrauchererwartung, Lebensmittel möglichst ohne Pflanzenschutzmittel zu nutzen. Hier stehen beim Verbraucher die Gesundheit der Lebensmittel und zudem der ökologische Aspekt im Vordergrund. Zum anderen gibt es im Export von Mahlprodukten außerhalb der EU länderspezifische Anforderungen, die z. B. den Einsatz von Wachstumsreglern stärker als die EU reglementieren bzw. sogar verbieten.“

Ulf Müller

Leiter Qualitätsmanagement und Anwendungstechnik national GoodMills Deutschland GmbH

Stand: 27.04.2020