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Was jetzt? Landwirtschaft in „Roten Gebieten”

Die Vorschläge für die neuen Vorschriften für „Rote Gebiete“ sorgen berechtigterweise viele, deren Betriebe ganz oder teilweise in diesen Gebieten liegen, in denen das Grundwasser als besonders mit Nitraten belastet ausgewiesen wurde. Selbst wenn hier und da noch Korrekturen vorgenommen werden sollten: Die Situation erfordert Anpassungen. Paul Steinberg, Fachberater für Sachsen, macht im Gespräch mit der zeitschrift praxisnah Vorschläge.

Die geforderten Veränderungen betreffen auch die Ausbringtechnik von organischen Düngern; Bild Henze
Die geforderten Veränderungen betreffen auch die Ausbringtechnik von organischen Düngern; Bild Henze
praxisnah: Herr Steinberg, was sind Ihrer Meinung nach für die betroffenen Betriebe die Knackpunkte in der DüV?

Paul Steinberg: Man muss unterscheiden zwischen reinen Ackerbaubetrieben und Futterbaubetrieben. Die größte Herausforderung für Futterbaubetriebe mit Gülleanfall ist sicher das Güllemanagement. Die Sperrfristen werden vermutlich erweitert und gleichzeitig darf Gülle im Herbst nur noch zu Winterraps und Zwischenfrüchten zur Futternutzung ausgebracht werden – und auch nur, wenn Nährstoffbedarf besteht. Das bedeutet, dass erheblich mehr Lagerraum geschaffen werden muss und das kostet.

Investitionen werden bei den meisten auch bei der Gülletechnik erforderlich werden, um die Ausbringungsverluste zu minimieren und 85 % Effektivität besonders in stehenden Beständen hinzubekommen.

Ein grundlegender Knackpunkt, der Ackerbau- und Futterbaubetriebe trifft, ist die Reduzierung der N-Düngung pauschal um 20 % unter dem Bedarf für ein bestimmtes Ertragsniveau. Auf den meisten Böden werden mit dieser Reduzierung die Erträge in den nächsten Jahren stückweise geringer ausfallen. Nur humusreiche Böden mobilisieren in den ersten Jahren den fehlenden Stickstoff aus dem Dauerhumus. Das ist aber dann irgendwann auch vorbei und spätestens dann gehen die Erträge zurück. Bei den Rohproteingehalten wird diese reduzierte Düngung sofort durchschlagen. Die Produktion von E-Weizenproduktion aber auch von Durum wird dann in Roten Gebieten wirtschaftlich nicht möglich sein. Einige Mühlen senken zwar schon die erforderlichen Rohproteingehalte etwas ab, aber auch diese einzuhalten wird nur bei Verzicht auf Ertrag möglich sein.Denn es besteht eine Korrelation zwischen Ertrag und Protein. Die Faustzahl mit aktuellen Sorten heißt: 1 % Protein kostet 9 % Ertrag. Das ist der grobe Richtwert, aber es gibt auch Sorten, für die dieser Zusammenhang weniger stark gilt. Der A-Weizen Lemmy gehört z. B. dazu. Bei Verzicht auf Ertrag muss der Preis stimmen, wenn der Qualitätsweizen noch wirtschaftlich sein soll.


Droht eine Abwärtsspirale: weniger Ertrag, noch weniger Düngung, noch weniger Ertrag?

Steinberg: Ja, ich denke schon, denn für den Bedarf werden 3-jährige Durchschnittserträge zugrunde gelegt. Ob der Ertrag wirklich sofort sinkt, ist wie gesagt vom Humusgehalt abhängig. Bei Böden mit viel Dauerhumus kann es Jahre dauern, bis dann der Ertrag doch einbricht – der Boden hat dann aber erheblich Humus abgebaut. Das ist nicht nachhaltig, deswegen muss man hier unbedingt gegensteuern! Aber auch die Züchtung muss Hilfe leisten mit Sorten, die sehr gut Stickstoff verwerten.


Stickstofffreisetzung in Abhängigkeit vom C/N-Verhältnis; zum Vergrößern die Abbildung anklicken

Stickstofffreisetzung in Abhängigkeit vom C/N-Verhältnis; zum Vergrößern die Abbildung anklicken


Man muss also Maßnahmen ergreifen, um Humus aufzubauen oder wenigstens den Abbau zu verhindern?

Steinberg: Besonders Betriebe ohne organische Düngung müssen hier aufpassen. Raps ist eine Kultur, die Humus mehrt und zudem ja auch im Herbst mit Gülle gedüngt werden darf. Das macht Raps für Futterbaubetriebe gleich doppelt wertvoll – von seiner generellen guten Vorfruchtwirkung mal ganz abgesehen.

Wo es passt, kann auch Körnermais helfen, zudem verwertet Körnermais Stickstoff sehr gut und kommt daher mit einer reduzierten Düngung ganz gut zurecht. Bei der Wahl der Zwischenfrüchte sollte das C/N-Verhältnis passen, Rettich zum Beispiel ist für den Erhalt und den Aufbau von Dauerhumus positiv. Leguminosen dagegen haben ein engeres C/N-Verhältnis und bilden eher keinen Dauerhumus.


Bodenstruktur und Durchwurzelung; zum Vergrößern die Abbildung anklicken

Bodenstruktur und Durchwurzelung; zum Vergrößern die Abbildung anklicken


Was kann man dafür tun, dass der (wenige) Stickstoff optimal genutzt wird?

Steinberg: Ganz wichtig: Es geht gar nicht ausschließlich um Stickstoff, sondern um das Nährstoffsystem. Stickstoff kann nur optimal verwertet werden, wenn Schwefel- und Spurenelementversorgung passen. Hier ist auch der pH-Wert sehr wichtig. Und dann ist da noch das Wurzelsystem: Nur eine Pflanze mit einem gut ausgeprägten Wurzelsystem kann das Nährstoffangebot voll nutzen. Wir müssen uns – nicht nur in den Roten Gebieten – einfach wieder mehr mit dem Großen und Ganzen rund um die Pflanze beschäftigen. Auch die Terminierung des Düngens wird wichtiger und Depotdünger werden vermehrt eingesetzt werden.

Auch die Bodenbearbeitung spielt eine Rolle: Eine gezielte Bodenbearbeitung zu den Kulturen, die nicht gedüngt werden können, kann die Stickstoffmobilisierung angeregt werden. Auch die Digitalisierung kann helfen, Betriebsmittel – und dazu gehört auch der Dünger – gezielt und damit effizient einzusetzen.


Aber welche Kulturarten werden jetzt mehr in den Vordergrund treten und warum?

Steinberg: Alle Kulturen, die auch bei einem geringen Stickstoffangebot sicher Leistung bringen. Das sind extensive Sommerungen wie Hafer. Bei den Winterungen ist es der Roggen, der zudem viel Stroh auf dem Acker lässt, was dem Humus nutzt. Dazu kommt die Wintergerste, die ebenfalls relativ wenig Stickstoff benötigt und zusätzlich gut mit der Hitze der letzten beiden Sommer zurechtgekommen ist. Das kann auch der Hybridweizen sein, der ein sehr ausgeprägtes Wurzelsystem hat und daher sehr gut an die Nährstoffe rankommt. Erwiesenermaßen bringt Hybridweizen gerade auf schwierigen Standorten gute Vergleichserträge. Raps – das hatte ich bereits ausgeführt – gehört bei organischer Düngung fast schon zwingend in die Fruchtfolge.

Und dann sollte man auch seinen Blick auf sehr tief wurzelnde Kulturen werfen. Wo es geht Sonnenblumen oder auch Lein und Klee: Diese Kulturen erreichen den Stickstoff in sehr tiefen Schichten und holen ihn in den Bearbeitungshorizont zurück.

Ich finde die gesamte Situation zwar absolut nicht befriedigend, aber es wird vermutlich so beschlossen und wir müssen uns dann danach richten. Und ich bin überzeugt davon, dass es für nahezu jeden Betrieb Lösungen gibt. Wenn sie müssen, sind Landwirte sehr anpassungsfähig, das erlebe ich immer wieder.

 

Herr Steinberg, vielen Dank für das Gespräch.

 

Stand: 18.12.2019