Aktuelle Ausgabe 01/2024

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Qualitätseinstufung ohne Protein – was kommt da auf uns zu?

Zukünftig wird der Rohproteingehalt der Weizensorten nicht mehr zur Qualitätseinstufung herangezogen. Mit dieser Entscheidung setzt das Bundessortenamt den Schlussstrich unter eine über 25 Jahre währende Diskussion. Was bedeutet dies für die weitere Sortenentwicklung, den Pflanzenbau und die Vermarktung? Weizenexperten der SAATEN-UNION wagen eine erste Einschätzung.

Weizenfeldtag 2018
Weizenfeldtag 2018
Die Qualitätseinstufung der Weizensorten ohne Heranziehung des Rohproteingehaltes wird seit Langem von vielen Züchtern gefordert. Denn der Kornstickstoffgehalt1 erlaubt – über die Sorten gesehen – keine Aussage über deren Backfähigkeit. Mehl-, Teig- und Volumenausbeuten auf A-Niveau können ebenso mit Note 2 bei Rohprotein erreicht werden wie mit Note 6, mit 11,8 % ebenso wie mit 13,2 %! Verantwortlich für die Backqualität ist vielmehr die Funktionalität des Kleber/Stärke-Netzwerks. Diese wiederum ist nicht in erster Linie eine Frage des Rohproteingehalts!

Mit der Neugruppierung verschiebt sich das aktuelle Backweizensortiment zugunsten von vier B-, sieben A- und zwei E-Sorten. Mit der Hybride Hymalaya steht nun sogar eine A-Weizensorte mit der höchsten Ertragseinstufung 9/9 zur Verfügung, die ertragreichste E-Sorte erreicht mit 7/7 das Ertragsniveau der bisherigen A-Sorten! Damit verschwimmen die Ertragsunterschiede zwischen Qualitäts- und Massesorten, B- und C-Sorten dürften an Bedeutung verlieren.


Wird Qualitätsweizen trotzdem weiter nach Protein bezahlt?

Zunächst ja. 13 % RP für A-Weizen oder 14 % für E-Weizen werden vor allem aus einem Grund gefordert: Um ohne Kenntnis der Sorten sicher zu sein, die gewünschte Qualität zu erhalten  – und nicht etwa (i. d. R. proteinärmere) B- oder gar C-Sorten. Diese Beschaffungsstrategie wird mangels Alternativen zunächst beibehalten werden, für die Verarbeiter im Hinblick auf die regionale Versorgung jedoch zunehmend teurer.

Mehrjährige Versuchsergebnisse des „Netzwerks Düngung“ belegen, dass mit der Düngereform zunächst nicht die Erträge, wohl aber die Proteingehalte zurückgehen dürften, im Mittel der Jahre und Orte um ca. 0,6 % absolut. Dies gilt vor allem für A- Sorten in Regionen und Jahren mit hoher Ertragsleistung, zumal diese – unsinnigerweise – gegenüber E-Sorten bei der N-Düngung2 benachteiligt werden.

Bisher bekamen die Verarbeiter A-Sorten mit 13 Prozent Rohprotein aufgrund des großen Angebots für durchschnittlich 60 Cent/dt Preisaufschlag im langjährigen Mittel. Diese Qualitätsprämie dürfte sich in den kommenden Jahren spürbar erhöhen, weil Partien mit diesen Proteinwerten knapper werden bzw. mit geringeren Erträgen und damit höheren Erzeugerkosten einhergehen (siehe Tab. 1).

Ökonomische und ökologische Wirkung unterschiedlicher Proetinanforderungen; zum Vergrößern bitte anklicken
Ökonomische und ökologische Wirkung unterschiedlicher Proetinanforderungen; zum Vergrößern bitte anklicken
Angepasste Fruchtfolgen und Anbauverfahren, vor allem jedoch Sorten mit höherer N-Verwertungseffizienz können diesen Trend zunächst bremsen.

Die  N-Verwertungseffizienz des aktuellen Weizensortiments zeigt, dass gegenwärtig  die Sorte Lemmy die einzige ertragsstarke A-Sorte mit höheren RP-Werten und damit führend in diesem Merkmal ist. Bei den verbreiteten E-Sorten erreichen am ehesten Genius und Ponticus dank ihrer hohen N-Effizienz das Handelskriterium 14,0 % oder gar 14,5 % Rohprotein.

Stickstoffeffizienz von A- und E-Weizensorten; zum Vergrößern bitte anklicken

Stickstoffeffizienz von A- und E-Weizensorten; zum Vergrößern bitte anklicken

Die Auswertung mehrjähriger WP-Ergebnisse belegt die höhere Vermarktungssicherheit proteinreicherer Sorten: Diese erreichen mit den Ausprägungsstufen (APS) 6 bzw. 5 in 75 % bzw. 50 % der Ernten die geforderten 13 % Protein. Proteinärmere A-Sorten mit den Noten „4“, „3“ oder „2“ schaffen die das in lediglich 38 %, 21 % oder gar nur 17 % der Fälle (Abb.1).


Rohproteinnote und -gehalt; zum Vergrößern bitte anklicken

Rohproteinnote und -gehalt; zum Vergrößern bitte anklicken


N-Nutzungseffizienz als neues Leistungskriterium

Mit gedeckelter N-Düngung und gleichzeitig steigender Sortenleistung werden die Rohproteingehalte immer weiter zurückgehen. Sorten mit höherer N-Nutzungseffizienz, also höherer Produktausbeute bezogen auf das N-Angebot, gewinnen damit an Vorzüglichkeit. Um die Sorten vergleichen zu können, wurden aus deren Ertrags- und Qualitätseinstufungen praxistypische Absolutwerte abgeleitet und in Beziehung zu einem (fiktiven) N-Angebot gesetzt (Tab. 2).

N-Effizienz von A- und E-Weizensorten; zum Vergrößern bitte anklicken

N-Effizienz von A- und E-Weizensorten; zum Vergrößern bitte anklicken

Im Ergebnis zeigt sich eine unterschiedliche Sortenrangfolge hinsichtlich der N-Nutzungseffizienz, je nach Erfolgsgröße.

  • Aus Sicht der Umwelt sind Weizensorten mit möglichst hohem N-Entzug über das Korn vorteilhaft. Diese verringern den N-Überhang und senken damit das Risiko der Nitratverlagerung ins Grundwasser.
  • Für den Landwirt haben in erster Linie Sorten mit möglichst hohen Kornerträgen je Hektar eine hohe Nutzungseffizienz. Mit diesen steigert er seine Produktivität und verringert in gleicher Größenordnung seine Stückkosten.
  • Für die größere Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit ertragsbetonter Qualitätssorten spricht deren höhere Mehl- bzw. Brotausbeute je kg N. Dabei werden ansonsten gleiche Qualitätseigenschaften unterstellt, deshalb sind auch nur Sorten mit gleichem Brotvolumen direkt vergleichbar.

 

Das Bundessortenamt am 29. März 2019 in seinem Kommentar zur Änderung der Qualitätsgruppenzuordnung: „Mit dem Inkrafttreten der neuen Düngeverordnung hat die N-Effizienz von Sorten an Bedeutung gewonnen. Sorten, die bei gegebenem Ertragsniveau mehr Protein aus dem verfügbaren Stickstoff synthetisieren, sind zur Erfüllung von Handelsnormen und somit für die Vermarktung von Vorteil.“

 


Umweltwirkung  proteinreduzierter Weizenmehle

Die ökonomischen und ökologischen Vorteile proteinärmerer Qualitätsweizensorten verdienen eine nähere Betrachtung. Dabei wird eine Absenkung der Rohproteinanforderungen über alle Qualitätsgruppen um 0,8 % unterstellt, nach Abb.1 entspricht dies etwa drei APS im RP-Gehalt. Wie die Kalkulation in Tab. 2 belegt, würden die Erträge erheblich steigen, die Produktionskosten und der Flächenbedarf parallel dazu sinken, der CO2-Footprint (Fußabdruck) verringert.

Hochgerechnet auf das deutsche Vermahlungsvolumen von 7,5 Mio. t Weizen

  • Sänken die Kosten für die Weizenerzeugung aufgrund höherer Erträge um 11,20 €/t bzw. 90 €/ha. Insgesamt würde die Wertschöpfung der deutschen Weizenerzeugung damit um 84 Mio. € erhöht!
  • Der Flächenbedarf für den Anbau sänke um 80 m²/t. Bezogen auf den Weizenbedarf der Mühlen addiert sich diese Ressourceneinsparung auf 60.000 ha, die für andere Nutzungen zur Verfügung stünden!
  • Der Ökologische Fußabdruck verkleinert sich um 21 kg CO2 Äq./t, insgesamt  um 160.000 t! Dies entspricht dem CO2/Pro-Kopf-Ausstoß von 11 Mio. Pkw-km4  bzw. den nahrungsbezogen verursachten jährlichen CO2-Emissionen von 133.000 „Mischkostlern“ oder 267.000 Vegetariern5.

Solch eine lukrative und zugleich umweltfreundliche Strategie benötigt keine neuen Parameter zur Feststellung der Qualität, diese ist mit dem Sortennamen und dem dazu gehörenden Rohproteingehalt umfänglich beschrieben. Voraussetzung hierfür ist eine engere Kooperation der Marktpartner bei der Logistik, angefangen bei der garantierten Sortenidentität bzw. der Zusammenfassung in Sortengruppen. Das geht, andere Produktlinien wie etwa Braugerste leben das vor! Unverzichtbar ist zudem eine angepasste Erwartung der Verarbeiter an die Teigrheologie. Denn protein- und damit auch kleberärmere Teige tendieren zu einer geringeren Teigstabilität und Dehnbarkeit (Hartl 2018). Aus diesem Grund wird es auch immer einen gewissen Bedarf an proteinreichen Weizenpartien mit einem höheren Gehalt an kräftigem, stabilem Feuchtkleber geben. Etwa bei Teiglingen für Backautomaten, schwere Hefeteige zur Stollenherstellung oder auch Bunmehle für Burgerbrötchen. Und natürlich für den Export, dort werden für die Hauptmärkte 12,5 % Rohprotein kontrahiert.


Fazit

Zunächst dürfte sich nicht viel ändern. Im Gegenteil: Bei limitierter N-Düngung sind proteinreiche Qualitätssorten jetzt vermarktungsrelevanter als je zuvor. Weiter zunehmende Umweltsensibilität und effiziente Märkte vorausgesetzt, gehört die Zukunft jedoch backtechnisch hochwertigen Sorten mit geringerem Kornstickstoffgehalt. Dafür ist die neue Qualitätseinstufung richtungsweisend.

 

1) Der Rohproteingehalt wird rechnerisch aus dem Kornstickstoffgehalt abgeleitet.

2) Der N-Bedarf aller Qualitätsgruppen je Hektar ist im Mittel der Sorten gleich hoch, das belegen u. a. langjährige Untersuchungen der SAATEN-UNION mit über 160 Exaktversuchen.

3) siehe www.praxisnah.de/201922

4) berechnet nach ifeu-Institut 2010; 5) berechnet nach Hoffmann 2002

 

Sven Böse

WeizenzZüchter der SAATEN-UNION zur neuen Qualitätseinstufung!

Dr. Martin Kirchhoff, Nordsaat Saatzucht

„Obwohl fachlich konsequent, war die Entscheidung des Bundessortenamtes für mich eine Überraschung! Man darf gespannt sein, wie der Markt reagiert. Aktuell wird nach Protein bezahlt, ein alternatives System ist nicht in Sicht. Auch stellt sich die Frage, wie weit das Proteinniveau abgesenkt werden kann, ohne dass die Backqualität leiden wird. Vermutlich verlieren B- und C- Weizen weiter an Attraktivität. Für unsere Kreuzungsplanung ändert sich aber wenig. Wie bisher wollen wir auch weiterhin ertrag- und proteinreiche Sorten liefern, wie uns das mit Genius und Lemmy gelungen ist.“

 

Dr. László Cselényi, W. von Borries-Eckendorf

„Unser Zuchtprogramm ist in erster Linie auf hohe Ertragsleistungen ausgerichtet, deshalb litten wir besonders unter den bisherigen Proteinanforderungen. Der Qualitätssorte Tobak wurde bis zur jetzigen Hochstufung das „A“ vorenthalten, weil der RP-Gehalt dafür wegen des hohen Ertrages nicht ausreichte. Ähnliches gilt für unsere Sorte Gustav. Aus züchterischer Sicht ist die Entscheidung zu begrüßen. Unter unseren Anmeldekandidaten 2018 sind jetzt plötzlich eine ganze Reihe hoch ertragreicher A-Weizen. Ab Herbst werden wir ganz neue Sortentypen anmelden können. Ich freue mich jetzt schon auf die Selektion!“

Dr. Andreas Jacobi, Strube Research

„Ich habe erst mal mehr Fragen als Antworten: Wie wird der Handel reagieren? Die Proteinqualität kann er ja an der Gosse nicht schnell genug messen. Es rutschen nun Sorten in „A“, die die Müller bisher als „B“ definiert haben und Sorten in „B“, die vorher in der „C“-Klasse lagen. Dadurch wird die Klassenschärfe zwischen den Qualitätsgruppen „aufgeweicht“, diese könnten an Leitfunktion verlieren. Wir benötigen zusätzliche Merkmale wie den Feuchtkleber, um die Sorten ausreichend für den Markt zu beschreiben. Und was ist mit den unterschiedlichen Bedarfswerten der Düngeverordnung, ist eine Anpassung notwendig? Wir jedenfalls werden in unseren Zuchtprogrammen den Qualitätsparameter Protein nicht aus den Augen verlieren.“

Dr. Mario Gils, Nordsaat Saatzucht

„Für mich ist die neue Qualitätseinstufung ein Befreiungsschlag! Als Hybridzüchter habe ich zwar im Hinblick auf die Ertragsteigerung mehr Poten­zial, leide allerdings auch stärker unter der damit einhergehenden „Proteinverdünnung“. In den letzten Jahren musste ich äußerst ertragreiche Kombinationen wegen ihres geringen Proteingehalts verwerfen! Dank der Neubewertung kann ich nun auf der Ertragsseite noch mehr Gas geben! Zuerst mal freue ich mich aber über unseren „neuen“ A-Weizen Hymalaya mit der Ertragseinstufung 9/9! Ich bin gespannt, ob und wie der Markt diese Chance zur Produktivitätssteigerung nutzt!“

 

 

 

 

 

 

 

Stand: 30.04.2019